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TV-Nachlese

Eine «Rundschau» mit Tunnelblick

Unter einer Rundschau versteht man einen Blick um sich herum, das Erfassen des Ganzen. Die gleichnamige Sendung von Fernsehen SRF nimmt das Format hingegen, um einer einzelnen Sicht zum Durchbruch zu verhelfen. Ihrer eigenen Sicht. Eine Nachlese zu einem denkwürdigen TV-Beitrag.

Stefan Millius am 11. Februar 2021

Dass es mit Sicherheit nicht besonders freundlich wird, wenn ein SRG-Medium Menschen unter die Lupe nimmt, welche die Coronamassnahmen kritisieren, weiss man im Voraus. Erstaunen löst der «Rundschau»-Beitrag» vom Mittwoch, 10. Februar 2021 in seiner Gesamtheit deshalb kaum aus. Es sind mehr Details, die verblüffen. Denn manchmal geben sich die quasistaatlichen Journalisten noch Mühe, ihre Tendenzen zu verbergen. Hier aber fielen alle Hüllen. Hemmungslos.

Der Beitrag widmete sich «coronaskeptischen Ärzten». Allein die prominente Verwendung dieses Begriffs führt – wohl gezielt – in die Irre. Die meisten Ärzte, die für SRF kurzerhand darunter fallen, sind keineswegs skeptisch gegenüber Corona, also der Existenz des Virus, sondern halten die Massnahmen für sinnlos bis schädlich. Davon später noch mehr.

Zunächst der Einstieg einer Stimme aus dem Off. Es seien harte Zeiten, verkündet uns eine angenehme männliche Fernsehstimme, sie bezieht sich auf die Einschränkungen von Gesellschaft und Wirtschaft.

«Angenehm ist das nicht, aber es muss so sein, darin sind sich viele einig», sagt die Stimme weiter.

Das ist sicher nicht falsch. Es ist nur unvollständig. Die wachsende Zahl der Menschen, die genug davon hat und in der auch die Überzeugung wächst, dass es eben nicht so sein müsste: Sie wird nicht adressiert. Damit ist die Grundstimmung gesetzt. Es ist nicht schön, aber es muss eben sein. Noch Fragen?

Doch dann kommt kurz Hoffnung auf. Wird der Fächer noch geöffnet? «Aber nicht alle», fährt die Stimme nämlich fort, will sagen: Nicht alle finden, dass es so sein muss. Aber die Stimme sagt das nicht, um zu vermitteln, dass der Widerstand in der Bevölkerung wächst, sondern um zum Arzt Gianmarco Sala aus Altdorf überzuleiten, der sich beispielsweise gegen Masken ausspricht und an Kundgebungen die Massnahmen des Bundes kritisiert.

Erhält er Gelegenheit, sich zu erklären? Ja, theoretisch. Der Arzt will das vor der Kamera nicht tun. Das wird Leuten oft negativ ausgelegt. In diesem Fall geschah es wohl aus Erfahrung.

Denn nun wird stattdessen eine frühere Begegnung zwischen einem SRF-Reporter und Sala eingeblendet am Rande einer Kundgebung. Der Reporter wollte damals wissen, warum der Arzt Masken für überflüssig halte, denn – Originalton – «immerhin schützen sie vor einer Ansteckung.»

Das ist nur in zweiter Linie eine Frage. Es ist in erster Linie eine Behauptung. Die überaus begrenzte Wirksamkeit von Masken wird bei SRF kurzerhand zum diskussionslosen Schutz vor einer Ansteckung. Was auch immer Sala nun antworten wird, der Tenor ist klar: Dieser Mann ist mitschuldig an der Verbreitung des Virus, denn er will den Schutz dagegen verhindern. Der Reporter hatte eine klare Mission, und er hat sie durchgezogen.

Es geht weiter mit dem Urner Kantonsarzt, der keine Freude hat am Hausarzt aus Altdorf. Er wolle erreichen, sagt uns die Stimme aus dem Hintergrund, dass Gianmarco Sala «seine kruden Ansichten nicht länger verbreiten darf.» Die Passage mit den «kruden Ansichten» ist übrigens kein Zitat des Kantonsarztes. Es ist die Stimme von SRF, die ausdrücklich diese Bezeichnung wählt. Auch hier wieder: Der Zuschauer soll sich nicht etwa ein Bild machen, sondern gleich wissen, dass die Ansichten krud sind. Das ist offenbar die Aufgabe des Staatssenders: Dem Publikum eine Ansicht präsentieren und ihm sagen, was es von diesen gefälligst zu halten hat.

Es folgt ein Jurist im Kurzinterview, der verlangt, der Kantonsarzt solle schärfer gegen den widerständigen Hausarzt vorgehen. Warum gerade er das Wort erhält und nicht – oder auch – jemand, der die Einstellung von Gianmarco Sala unterstützt: Wir wissen es nicht. Oder natürlich doch. Das Bild des verantwortungslosen Querschlägers wird so dichter. Die Auswahl der Gesprächpartner ist in Fernsehbeiträgen ein mächtiges Instrument.

Im Verlauf des TV-Beitrags gibt es auch ein Wiedersehen mit einem alten Bekannten aus Ostschweizer Sicht, dem ehemaligen Wattwiler Hausarzt und St.Galler Amtsarzt Rainer Schregel. Der hatte diese beiden Aufgaben bekanntlich verloren und wirkt nun in Ebikon im Kanton Luzern. Und zwar beim Hausarzt Andreas Heisler, ebenfalls einem Kritiker der Maske, der auch berühmt wurde, weil er schriftlich und ohne Praxisbesuch Attests für die Maskenbefreiung ausstellte.

Seit einer Woche ist die besagte Praxis behördlich geschlossen, weil Heisler nicht mit Maske praktizieren will. Er und Schregel stellen sich dem Rundschau-Reporter. Der ist – sekundiert vom Off-Sprecher – entsetzt über einige Äusserungen der beiden. So sagte Schregel beispielsweise einst, Deutschland habe derzeit die schlimmste Regierung seit 1933. Die Stimme aus dem Hintergrund informiert uns dann gleich, damit wir nicht selbst denken müssen, das sei ein «unhaltbarer geschichtlicher Vergleich».

Auch hier wieder: Man lässt die Information nicht zur Eigenbeurteilung sinken, sondern bewertet sie gleich. Vermutlich ist das dieser oft gehörte «Service public»: Rundumbetreuung bis tief ins Hirn.

Leute, die über Schregels Vergleich entsetzt sind, haben übrigens auch einen zumindest kurzfristigen Logikaussetzer. Der Arzt hat nicht gesagt, die aktuelle Regierung Deutschlands sei so schlimm wie das Hitlerregime. Er sagt nur, dass es nach diesem Regime nie wieder eine so schlechte Regierung gab wie die heutige. Dass also die vorhergehenden Regierungen nach 1933 besser waren als die Merkeltruppe. Was soll daran ehrenrührig sein? Die Empörung basiert schlicht auf einem falschen Verständnis seiner Worte.

Heisler wiederum, der übrigens aus eigener Erfahrung spricht bei dem Thema, vergleicht die aktuellen Zustände in der Schweiz mit der DDR, weil keine Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit herrsche und weil in den Medien Zensur ausgeübt werde. Der Rundschaureporter mag keine Frage dazu stellen, sondern lieber etwas entgegnen. Massnahmen wie die begrenzten Versammlungen habe man ja aufgrund der Pandemie, das sei doch nicht wie in der DDR. Kurz und gut, er will von seinem Gegenüber eigentlich nichts wissen, sondern ihm nur mitteilen, wie er darüber denkt. Weil es die Zuschauer ja brennend interessiert, wie der Reporter dazu steht.

Das Wort «Coronaskeptiker» fällt in der Diskussion, Rainer Schregel geht dazwischen. Das Wort wolle er nicht hören, er sei kein Coronaskeptiker, er leugne nicht das Virus, es gehe um die Massnahmen und deren Verhältnismässigkeit. Nützen tut es aber nichts, im restlichen Beiträg fällt der Begriff weiterhin frischfröhlich. Er ist einfach zu schön diffamierend, als dass SRF darauf verzichten könnte.

Nun kommt noch die Impfung ins Spiel. Man zeigt eine Grabstelle, es geht um einen 91-Jährigen, der nach der Coronaimpfung verstorben ist. Heisler habe einen befreundeten Journalisten informiert, die Meldung eines Impfopfers ging um die Welt. Swissmedic habe später erklärt, es gebe keinen Zusammenhang zwischen seinem Tod und der Impfung. Aber das, so sagt die Off-Stimme mit bedeutungsschwangerem Unterton, sei zu spät gewesen, das Gerücht war bereits unterwegs, es seien schon viele alte Leute verunsichert worden durch die Meldung.

In der Tat hat Swissmedic zum Fall Stellung genommen. Abklärungen hätten ergeben, «dass aufgrund der Krankengeschichte und des Krankheitsverlaufs ein Zusammenhang zwischen dem Tod und der Covid-19 Impfung höchst unwahrscheinlich ist.» Das entnehme man der Krankengeschichte und dem akuten Krankheitsverlauf. Die «Rundschau» verzichtet auf das «höchst unwahrscheinlich» und verkündet es stattdessen als abschliessende Wahrheit. Man hat ja nicht endlos Sendezeit.

Es war nicht ratsam von den TV-Leuten, die Impfung in den Beitrag zu integrieren. Denn auch wenn sie glauben, damit den Hausarzt aus Ebikon endgültig blossgestellt zu haben: Menschen, die nicht gerne Widersprüche haben, machen vor dem Bildschirm da kaum mit. Im Gegenteil, sie stutzen. Denn sie wissen, dass man auch bei unzähligen angeblichen Coronatodesfällen einen Zusammenhang mit dem Virus als «höchst unwahrscheinlich» hätte bezeichnen können. Dass bei Zwischenfällen bei der Impfung stets die Vorerkrankung oder das Alter massgebend ist, niemals aber beim Virus, egal wie alt oder angeschlagen ein Mensch war, das ist eine der subtilsten Verdrehungen der letzten Wochen. Aber kein Thema für SRF.

Natürlich endet diese «Rundschau» mit einem salbungsvollen Satz. Und zwar so:

«Die Meinungsfreiheit ist eines der grössten Güter. Gründe, sie zu beschneiden, gibt es nur wenige. Der Staat muss entscheiden, wie viel Freiheit er den coronaskeptischen Ärzten zugestehen soll. Eine heikle Aufgabe. Aufschieben sollte man sie nicht.»

Aufschieben sollte man sie nicht. Übersetzt: Macht endlich mal, Behörden. Dreht den Coronaskeptikern den Hahn ab. Tut. Doch. Etwas!

Der Schluss passt durchaus. Es rundet die Sache ab. Ein veritables Stück feiner Propaganda zur besten Sendezeit.

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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