Ein Quereinsteiger verdrängt einen Amtsinhaber, um dann festzustellen: Hoppla, das ist ja doch nicht so einfach.
Zunächst einmal: Es zeugt von Grösse, wenn man sich selbst eingesteht, dass man einer Aufgabe nicht gewachsen ist. Und es ist sehr viel vernünftiger, dann die Konsequenzen zu ziehen als einfach den Schein zu wahren. Davon hat keiner etwas, nicht derjenige, der vor der Aufgabe steht, aber auch nicht die, die auf ihn zählen.
Dass der Herisauer Gemeindepräsident Kurt Geser nach nur gerade 18 Monaten im Amt die Reissleine zieht, ist deshalb durchaus verantwortungsvoll. Einen schalen Beigeschmack hinterlässt es dennoch.
In erster Linie tut es das mit Blick auf Gesers Vorgänger. Renzo Andreani, der das Gemeindepräsidium für die SVP eroberte und ab 2012 sechs Jahre lang amtete, wurde von Geser aus dem Stuhl befördert. Dem vorausgegangen war keineswegs eine lang anhaltende Unzufriedenheit mit Andreani. Natürlich hatte er - wie jeder Gemeindepräsident - seine Kritiker, aber seine Amtsführung war weitgehend unstrittig, Debatten gab es meist vor allem um die Prioritätensetzung oder die Kommunikation. Angeschossen wirkte Andreani jedenfalls nicht, als wie aus dem Nichts Kurt Geser kurz vor der Wahl seine Kandidatur ankündigte.
Renzo Andreani musste sich praktisch von einem Tag auf den anderen neu orientieren, ohne silberne Löffel gestohlen zu haben. Nun ist es das Recht eines jeden, für ein Amt zu kandidieren, und jeder Amtsinhaber muss mit der Möglichkeit der Niederlage leben. Dennoch muss sich Gesers Vorgänger nun etwas dumm vorkommen: Er wurde aus dem Amt gekegelt von einem, der nach eineinhalb Jahren zum Schluss kommt, er habe die Aufgabe unterschätzt.
Im Netz machte kurz nach Bekanntgabe von Gesers Rücktritt auf den nächsten Mai dieses Bild die Runde, das es ganz gut wiedergibt:
Die Sache ist aber auch keine gute Werbung für das Prinzip des Quereinsteigers. Viele Leute haben die Nase voll von zu karrierebewussten Politikern, die ihre Laufbahn über Jahre hinweg auf ein bestimmtes Amt ausrichten. Sie wünschen sich frische Ideen, neue Gesichter. Aber an diesem Fall zeigt sich, dass Quereinsteiger eben oft doch ein Defizit haben: Weil ihnen der Blick hinter die Kulissen fehlt, können sie gar nicht abschätzen, was es im Amt alles braucht. Geser war vor seiner Kandidatur seit einem halben Jahr bei der Gemeinde Herisau angestellt. Er kannte einen Teil der Verwaltungsarbeit, aber auch erst seit kurzem, die politische Bühne war ihm völlig fremd. Nicht zu wissen, was einen erwartet und dann gleich zuoberst auf dem Treppchen zu stehen ist eine explosive Mischung.
Zumal sich schon früh ein Schuss Naivität offenbarte. Nach 100 Tagen im Amt zog der Herisauer Gemeindepräsident vor den Medien eine erste Bilanz. Damals befand er, er habe die Aufgabe zwar nicht unterschätzt, sei aber beeindruckt, in wie viele verschiedene Themen man in diesem Amt einen Überblick haben müsse. Eine gute Vorbereitung klingt anders. Es ist ja gerade das Merkmal von Kommunalpolitik, dass man Generalist sein muss.
Es ist nicht die Zeit für Häme, und Geser ist auch nicht der erste Fall. Fast identisch war derjenige einer Abwahl des Gemeindepräsidenten in Au vor einigen Jahren. Dort stiess ein ebenfalls parteiloser Kandidat den Amtsinhaber ebenfalls nach sechs Jahren vom Thron, um ebenfalls rund 18 Monate später zu merken: Es geht nicht. Das kann es geben. Aber es wirft zwei Fragen auf: Warum trauen sich Leute das Amt des Gemeindepräsidenten so schnell zu? Wirkt es nach aussen wie eine Kutschenfahrt? Und zweite Frage: Warum traut das Volk den Leuten, die sich das einfach so zutrauen, so stark, dass sie für den Wechsel stimmen?
Unzufriedenheit mit dem Status quo verstellt offenbar manchmal den realistischen Blick auf die Alternative.
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Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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