Uralte Rattansessel, Kinderspielzeug, Blumenvasen, Schlagzeugteile, historische Stehlampen stehen vor den Häusern und lassen Fremde rätseln, ob es die Müllabfuhr nicht mitgenommen hat oder ob es auf den Umzugswagen wartet.
Bei näherem Hinsehen findet man Schilder: «Gratis» oder «zum Mitnehmen».
Entsorgung der modernen Art oder milde Gaben an Bedürftige? Letztere gibt es hier kaum und der Thurgauer ist sehr abfallbewusst, alte Sachen in die Thur zu werfen, ist schon lange her.
Warum tun sie dies?
Psychoanalytiker haben noch keine Untersuchungen angestellt, also bleiben nur Vermutungen:
- Der Thurgauer setzt gerne indirekte Zeichen, etwa: Der Sohn ist nun verheiratet, hat selbst Kinder und weigert sich, seine Spielsachen seinen Kindern zu geben. Also stellt man sie provokativ auf die Strasse.
- Der Thurgauer zeigt gerne, was er sich leisten kann, also stellt er die alten Möbel vor die Tür, um zu demonstrieren, dass man sich modernere und teurere leisten kann.
Wer es wagt, diesen Miniflohmarkt näher anzuschauen, bemerkt, dass Vorhänge im Haus dezent bewegt werden.
Und wenn jemand tatsächlich etwas mitnimmt, wird die Situation obskur:
Nicht die Leute, die die alten Sachen entführen, sagen «merci», es sind die ehemaligen Besitzer, die sich laut bedanken, dass ihre lieb gewonnenen alten Stücke in eine neue Zukunft entführt werden.
Das muss man verstehen.
Wolf Buchinger (*1943) studierte an der Universität Saarbrücken Germanistik und Geografie. Er arbeitete 25 Jahre als Sekundarlehrer in St. Gallen und im Pestalozzidorf Trogen. Seit 1994 ist er als Coach und Kommunikationstrainer im Management tätig. Sein literarisches Werk umfasst Kurzgeschichten, Gedichte, Romane, Fachbücher und Theaterstücke. Er wohnt in Erlen (TG).
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