Autor/in
Madeleine Grawehr
Madeleine Grawehr ist Partner / Chief Operating Officer bei Nellen & Partner in St.Gallen.
Madeleine Grawehr ist Partner / Chief Operating Officer bei Nellen & Partner in St.Gallen.
Das im vergangenen Monat veröffentlichte Schweizer HR-?Barometer der ETH Zürich zeigt: Je höher der Digitalisierungsgrad in einem Unternehmen, desto geringer ist die Arbeitszufriedenheit.
(zVg.).
Ein wesentlicher Grund dafür: digitale Überwachung. Anbieter entsprechender Software wie Hubstaff, ActivTrak oder Time Doctor bezeichnen es zwar als «Workforce Analytics» oder «Employee Monitoring», die der Optimierung der betreffenden Gebiete dienen oder «dem Team helfen sollen, zu Hause produktiver zu arbeiten». Doch in den meisten Firmen ist es Überwachung, die dazu führt, dass sich Beschäftigte mit ihrem Unternehmen weniger stark verbunden fühlen, wie die Studie zeigt.
Zum Beispiel blockiert der Arbeitgeber bei 46 Prozent der Befragten den Zugriff auf bestimmte Internetseiten und 22 Prozent werden beim Besuchen von Internetseiten überwacht. 20 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich in ihrer Privatsphäre eingeschränkt fühlen. «Programme, die Angestellte überwachen und ihre Leistung messen, sind seit Beginn der Corona-Krise beliebter geworden», berichtet die Neue Zürcher Zeitung.
Die Nachfrage bei den Herstellern solcher Software sei gestiegen. Dabei, so fanden St. Galler Forscher heraus, setzten bereits vor der Krise 37 Prozent der Firmen verschiedene Datafizierungstechnologien ein, um Leistungen zu beurteilen. 18 Prozent nutzten sie, um zu sehen, ob sich ihre Mitarbeiter an die Regeln halten.
Rechtlich bedenkliche Aktivitäten
Konkret zeichnen solche Programme «jede Bewegung des Mauszeigers auf dem Bildschirm und jeden Tastaturanschlag auf». Ausserdem können sie App- und URL-Aktivität verfolgen, bei Aktivierung von USB-Geräten benachrichtigen, die Nutzung von Social-Media-Websites einschränken und Mitarbeiter per GPS orten. Einige nehmen per Webcam regelmässig Fotos und/oder Screenshots auf. Die Technik ermöglicht zunehmend mehr. Aus den gewonnenen Daten werden dann automatisch verschiedenste Analysen erstellt, zum Beispiel zur Produktivität, zur Stimmung oder gar zum Gesundheitszustand von Mitarbeitern, oft ohne dass diese etwas davon wissen.
Das ist in der Schweiz – und in vielen anderen Ländern – rechtlich nicht erlaubt. Auf der Website des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten heisst es unter anderem: «Überwachungs- und Kontrollsysteme dürfen nicht zum Zweck eingesetzt werden, das Verhalten der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz zu überwachen.» Doch die Hersteller haben längst «Lösungen» dafür gefunden.
Die Argumente der Hersteller
So bietet die aktuelle Situation eine gute Gelegenheit, solche Methoden und Programme unter dem Deckmantel der Sicherheit einzuführen, wie aus einem Gastbeitrag von Aida Ponce Del Castillo, Senior Researcher am European Trade Union Institute, einem Forschungs- und Ausbildungszentrum des Europäischen Gewerkschaftsbundes, in der Netzwoche hervorgeht. Dabei beschränken sich Unternehmen nicht «nur» darauf, angeblich im Interesse der Mitarbeiter deren Körpertemperatur zu messen.
Amazon gab auch bekannt, einige seiner besten Technologen für maschinelles Lernen beauftragt zu haben, das Social Distancing in den Gebäuden mit Echtzeitmethoden weiter zu verbessern. «Die Coronakrise birgt die Gefahr, dass die Überwachung ohne echte Kontrolle akzeptabel gemacht wird», warnt Aida Ponce Del Castillo. Wer von solcher Technologie keine Kenntnis hat, beauftragt im Übrigen Privatdetektive. «Erste Firmen engagieren Privatermittler, um zu überprüfen, ob ihre Mitarbeiter zu Hause auch wirklich arbeiten», berichtet Handelsblatt-Redakteur Michael Scheppe auf LinkedIn.
Ein anderes – und erfolgreiches – Argument ist die angeführte Optimierung der Arbeit, für die manche Unternehmen durchaus die Zustimmung ihrer Mitarbeiter einholen. So ergaben laut NZZ Gespräche von Arbeitsforschern der Universität St. Gallen im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms zu Big Data, dass es für das Vertrauen der Mitarbeiter einen zentralen Unterschied macht, wenn diese erfahren, welche Daten erhoben werden, sie früh einbezogen werden und an der Auswertung teilhaben können.
Das gebe meist den Ausschlag bei der Frage, ob die Technologie als eine Art Big Brother wahrgenommen werde oder als eine Lernchance oder Hilfestellung. Zudem sei ein kritischer Umgang der Vorgesetzten mit Algorithmen wichtig.
Was stattdessen zählt
Immerhin ist hinlänglich bekannt, dass sich nicht alles messen lässt. Bereits vor Jahren schrieb zum Beispiel Psychoanalytiker und Coach Markus Fäh im Debattenmagazin Schweizer Monat, dass die sogenannten Key Performance Indicators (KPI) zunehmend zum Selbstzweck verkommen. Wer Nachdenken durch das Zählen ersetze, stagniere und gefährde die langfristige Profitabilität sowie somit den Bestand des Unternehmens.
Unternehmerisch denkende Menschen werden demoralisiert, wenn Kreativität und Innovationsgeist verloren gehen, das Betriebsklima kühler werde und «ursprünglich motivierte Mitarbeiter zu Sklaven formaler Qualitätsmanagementprozesse mutieren». Was wirklich zähle, seien Selbstverantwortung, eigenständiges Denken und innere Motivation – Grössen, die sich nicht so leicht messen lassen.
Dementsprechend fielen auch die meisten Reaktionen auf den aktuellen LinkedIn-Beitrag zur Überwachung von Mitarbeitern im Homeoffice aus. Michael Smetana, Architekt für digitales Lernen, kommentierte unter anderem: «Leider haben wir jahrelang verabsäumt, in Unternehmen eine Kultur der Eigenverantwortung zu etablieren.
Stattdessen ersinnen Führungskräfte immer wieder neue Methoden, ihre Mitarbeiter noch besser zu überwachen und demotivieren sie damit weiter.» Oder wie die britischen Anthropologen Michael Fischer und Sally Applin in der Studie mit dem Titel «Watching Me Watching You» laut Handelsblatt herausfanden: Die Überwachung am Arbeitsplatz führt dazu, dass Menschen ihr Verhalten öfter ändern, um sich dem Verhalten von Maschinen anzupassen.
Überwachung mache nicht unbedingt produktiver, sondern eher maschinenähnlicher. Doch darum geht es bei der Digitalisierung nicht. Sie sollte dazu dienen, Menschen zu unterstützen.
Deshalb kann nach wie vor Augenmass nicht durch Big Data ersetzt werden. Entscheider sollten besser dieses walten lassen. Markus Wagemann, Channel Manager in der mybreev GmbH, schlägt auf LinkedIn vor: «Ich fände es unglaublich interessant, wenn Kontrollchefs mal ihr ‚Kontrollbudget‘ in Teambuilding, Feelgood und Weiterbildungsmassnahmen fliessen lassen würden. Danach sollte man dann schauen, wie die Stimmung im Unternehmen ist bzw. was sich verändert hat.» Damit allein ist es natürlich nicht getan.
Aber generell gilt, was Maria Rapti, Fachkraft für interne Kontrollsysteme und Datenschutz bei der Stadt Dortmund, schreibt: «Wichtiger ist doch das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber – je höher die Loyalität und das Vertrauen, desto kleiner die Gefahr zu ‚betrügen‘». Daran gilt es zu arbeiten, und zwar mithilfe von beziehungsorientierter Kommunikation.
Madeleine Grawehr ist Partner / Chief Operating Officer bei Nellen & Partner in St.Gallen.
Werden Sie Gastautor oder Gönner von «Die Ostschweiz». Oder teilen Sie uns Verbesserungswünsche mit - unter info@dieostschweiz.ch
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.