Eine Zürcher Produktionsfirma versucht, in der Unterführung des Bahnhofs St.Gallen einen Film zu drehen, auf dem keine Leute zu sehen sind.
Schauplatz: Bahnhof St.Gallen, Hauptunterführung, Mittagszeit, also Rush hour.
Ich gehe vom Gleis Richtung Ausgang. Links von mir steht eine Kamera, gerichtet auf einen Herrn, der vor einer der grossen SBB-Kehrichtboxen steht. Sexy Motiv, denke ich noch, vermutlich geht es mal wieder um eine Littering-Kampagne.
Ich gehe vorbei und mache dann einen Schlenker zu einem Imbissstand, es ist ja schliesslich Mittag. Ein Mann kommt auf mich zu und stellt sich mir in den Weg.
«Entschuldigen Sie, wir drehen hier einen Film.»
«Äh, schön, na und?»
«Sie sind durchs Bild gelaufen.»
Ich schwanke zwischen Fassungslosigkeit und einem Lachanfall. «Sie wissen, dass wir hier an einem Bahnhof sind?»
Er bleibt stur, und der Tonfall kippt ins Unfreundliche. «Sie waren im Bild.»
Ich drehe mich um. Die Kamera und das Motiv sind einen Meter voneinander entfernt, dazwischen die Abfallbox. Da kann niemand dazwischen. Also stört es ihn offenbar, dass ich im Hintergrund zu sehen war? An einem Imbissstand in einer Bahnhofsunterführung um 12 Uhr mittags? Ach so, vielleicht wird hier gerade ein Endzeitfilm gedreht, und es darf kein lebender Mensch zu sehen sein. Ausser dem biederen Herrn im weissen Hemd und mit einem Kaffeebecher in der Hand, der offenbar der Star des Streifens ist.
Ich versuche es noch einmal: «Wenn Sie grossflächig keine Leute im Bild wollen, müssen Sie den Bereich absperren und jemanden engagieren, der die Leute umleitet, dann klappt das. Ich mache selbst auch Filme, Sie können mir glauben.»
Der Mann schaut mich an. Ich merke: er hat keine klugen Ratschläge erwartet, sondern ein ehrfurchtsvolles Raunen: Wow, hier wird ein Film gedreht, bestimmt kommt gleich Til Schweiger um die Ecke.
«Auf Wiedersehen», sagt er kurz angebunden und dreht sich ab, er mag nicht diskutieren, nachdem er mir zuvor noch den Weg verstellt hat. Im Gehen höre ich, wie er beginnt, Leute zu verscheuchen, die sich erdreisten, durch die Bahnhofsunterführung zu gehen. Da wartet viel Arbeit auf ihn.
Ich wette, er wünscht sich, er hätte fünf Meter Absperrband gekauft.
Beim Blick zurück erhasche ich einen Blick auf die Kamera. «Content Park» heisst die Produktionsfirma. Sie stammt aus Schlieren. Vermutlich hat den Zürchern einfach keiner gesagt, dass wir hier nicht alle ehrfürchtig auf sie gewartet haben und sofort den Weg räumen, wenn sie uns beehren, denke ich. Die Firma informiert uns später aber, dass sie selbst keinen Dreh in St.Gallen habe, ihr Equipment werde aber immer mal wieder vermietet.
Dann gehen wir einfach mal davon aus, dass die Mieter auch aus Zürich kommen...
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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