Frauen sind immer stärker erwerbstätig. Viele arbeiten aber nach wie vor in einem Teilzeitpensum. Auch in der Ostschweiz haben die Frauen am Arbeitsmarkt noch ein grosses Aufholpotenzial.
Frauen gehen deutlich weniger einer Erwerbstätigkeit nach als Männer. Wichtigster Grund für diese Diskrepanz ist die familiäre Rollenverteilung. Nach wie vor sind es die Mütter, welche sich hauptsächlich um die Erziehung der Kinder und die Führung des Haushalts kümmern.
Das lässt weniger Zeit für eine Erwerbstätigkeit, welche über ein Teilzeitpensum hinausgeht. Dabei gäbe es viele gute Gründe für eine stärkere Erwerbstätigkeit von Frauen.
Frauen verfügen über eine gute Ausbildung, welche durch die tiefe Erwerbsbeteiligung zu wenig genutzt wird. Zudem besteht bereits jetzt in vielen Berufen ein Fachkräftemangel. Dieser wird sich aufgrund der Alterung der Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten noch akzentuieren.
Hinzu kommen verschärfte Finanzierungsprobleme für das Sozial- und Gesundheitssystem. Neben einer längeren Erwerbstätigkeit im Alter für Männer und Frauen und einer anhaltenden Zuwanderung erscheint vor allem eine höhere Erwerbstätigkeit für Frauen als vielversprechende Antwort auf diese Probleme.
Frauen mit tieferer, aber steigender Erwerbsbeteiligung
In den letzten 20 Jahren konnte eine Annäherung in der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern beobachtet werden. Während die Erwerbsquote von Frauen im aktiven Alter 1996 nur bei rund 50% lag, so ist sie inzwischen bei knapp 60% angelangt (Abbildung 1).
Damit liegt sie allerdings immer noch deutlich unter dem Niveau von Männern, welche rund 85% aufweisen. Bei den Männern war eine leichte Reduktion zu verzeichnen. Der Unterschied zwischen Männern und Frauen ist vor allem dann sehr gross, wenn die effektive Arbeitszeit berücksichtigt wird, wie in Abbildungen 1 und 2 gemacht. Viele Frauen sind zwar erwerbstätig, dies aber in Teilzeitpensen, was die effektive Erwerbstätigkeit reduziert.
Die Erwerbsquote von Frauen hat sich in allen Altersgruppen, ausser der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen, deutlich erhöht (Abbildung 2). Am grössten war der Anstieg in der Gruppe der 55- bis 64-Jährigen, bei der inzwischen fast die Hälfte des Arbeitskräftepotenzials ausgenutzt wird.
Auch bei den 25- bis 39-Jährigen ist inzwischen eine Erwerbsquote in Vollzeitäquivalenten von hohen 66% zu verzeichnen. Mit anderen Worten wird das Arbeitskräftepotenzial in dieser Altersgruppe bereits jetzt zu zwei Drittel ausgenutzt.
Zum Vergleich: Bei den Männern lag die Erwerbsquote in Vollzeitäquivalenten in dieser Altersgruppe bei 93%. Die sinkende Erwerbsquote von Frauen im Alter von 15 bis 24 dürfte auf die steigende Zahl von Frauen in Hochschulstudien zurückzuführen sein.
Bei den Männern war in dieser Altersgruppe kaum eine Veränderung festzustellen. Im internationalen Vergleich ist die Erwerbstätigkeit der Frauen zudem sehr hoch. In Europa hat nur Island eine höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen, in Schweden liegt sie leicht unter den Werten der Schweiz.
Grosse Rolle von Teilzeitarbeit bei Frauen
Die Bedeutung der Teilzeitarbeit bei Frauen zeigt sich im Vergleich von Anzahl Stellen zu Anzahl Volläquivalenten, für welche die Teilzeitstellen in Vollzeitstellen umgerechnet werden (z.B. wird aus zwei 50%-Teilzeitstellen eine Vollzeitstelle). Rund 80% der 15- bis 64-jährigen Frauen nehmen am Arbeitsmarkt teil, d.h. sind entweder erwerbstätig oder erwerbslos. In Vollzeitstellen gerechnet sinkt die Erwerbsquote auf 60% (Abbildung 3).
Die Unterschiede sind bei allen Altersgruppen zwischen 25 und 64 Jahren gross. Zum Vergleich sinkt die Erwerbsquote bei den Männern nur von 88% (Anzahl Stellen) auf 85% (Anzahl Vollzeitstellen).
Die tiefere Erwerbsquote von Frauen in der Gruppe von 55 bis 64 dürfte auf das sich nur langsam ändernde Rollenverständnis zurückzuführen ein. Bei den Frauen dieser Altersgruppe scheint noch ein traditionelleres Rollenverständnis vorhanden zu sein, als dies bei jüngeren Frauen der Fall ist.
Noch wichtiger als das sich nur langsam verändernde Rollenverständnis von Frauen ist aber die familiäre Situation. Bei Frauen ohne Kinder unter 15 sinkt die effektive Erwerbsquote nur relativ wenig von 79% auf 64%, wobei in dieser Gruppe die tiefste und die höchste Altersgruppe sicherlich überproportional vertreten sind (Abbildung 4).
Bei Frauen mit Kindern unter 15 Jahren sinkt die Erwerbsquote dagegen von 79% auf 48%. Speziell tief ist die Erwerbsquote von Frauen mit Kindern bis 6 Jahren. Allerdings arbeiten auch die Frauen in dieser Gruppe im Durchschnitt immer noch mit mehr als einem 40%-Pensum.
Das Potenzial einer höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen
Offensichtlich besteht bei den nicht und bei den in Teilzeit arbeitenden Frauen noch ein erhebliches Arbeitskräftepotenzial. Dieses Potenzial könnte helfen, die Herausforderungen der demographischen Entwicklung zu meistern. In den nächsten Jahrzehnten wird der Anteil der Personen über 64 stark steigen, was zu einem Mangel an Arbeitskräften und zu Finanzierungsproblemen bei den Sozial- und Gesundheitssystemen führen wird.
Natürlich lässt sich nicht sagen, wie stark die Erwerbsbeteiligung von Frauen realistischerweise steigen könnte. Als Extremfall kann für Frauen aber die gleiche Erwerbsquote wie für Männer angenommen werden. Bei der aktuellen Altersverteilung der Bevölkerung würde dies zu einem Anstieg von rund 800’000 Vollzeitstellen führen (Abbildung 5). Aktuell weist die Schweiz rund 4 Millionen Vollzeitstellen aus, es bestünde aus dieser Quelle allein damit ein zusätzliches Potenzial von rund 20% der aktuellen Beschäftigung.
Neben der höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen besteht natürlich auch bei den Personen von mehr als 64 Jahren ein erhebliches Potenzial. Bei den 65- bis 70-Jährigen liegen die Erwerbsquoten in Vollzeitstellen nur bei rund 10%. Aktuell weist jeder Jahrgang der Schweizer Bevölkerung zwischen 65 und 70 rund 90'000 Personen aus, Tendenz steigend. Eine Erhöhung der Erwerbsquoten von 10 auf 50% würde damit pro Jahrgang ein zusätzliches Angebot von rund 36'000 Personen schaffen.
Teilzeitarbeit oder die zeitweise Absenz vom Arbeitsmarkt haben noch andere negative Auswirkungen für Frauen. Die zeitlichen Absenzen beeinflussen den Karriereverlauf von Frauen und ihre Lohnaussichten. Typische Karrieren in privaten Firmen oder dem öffentlichen Sektor basieren nach wie vor auf einer hohen zeitlichen Präsenz. Teilzeitstellen weisen dagegen oft weniger Verantwortung und damit einen tieferen Lohn und schlechtere Karrieremöglichkeiten aus.
Potenzial auch in der Ostschweiz
Die Erwerbsbeteiligung von Frauen in der Grossregion Ostschweiz liegt gemessen an der Anzahl Personen leicht höher als im Schweizer Mittel, nämlich um rund 2 Prozentpunkte. Dies gilt sowohl für Vollzeit- als auch für Teilzeitstellen. Zahlen für die einzelnen Kantone oder für Vollzeitäquivalente liegen leider nicht vor, weshalb genaue statistische Angaben zur Kernregion Ostschweiz mit den beiden Appenzell, St.Gallen und Thurgau nicht gemacht werden können.
Es kann aber davon ausgegangen werden, dass der Einbezug von Glarus, Graubünden und Schaffhausen die Werte nicht stark beeinflussen würde. Damit hat die verstärkte Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt auch in der Ostschweiz noch ein erhebliches Potenzial. Auch die Gründe für die tiefere Erwerbstätigkeit von Frauen dürften sehr ähnlich sein wie im Rest der Schweiz. Massnahmen für eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familien haben deshalb auch in der Ostschweiz viel Potenzial.
Dr. Frank Bodmer ist Leiter von IHK-Research, dem volkswirtschaftlichen Kompetenzzentrum der IHK St.Gallen-Appenzell.
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