Autor/in
Uwe Hauswirth
Dr. med. Uwe Hauswirth aus Wattwil ist Präsident des Toggenburger Ärztevereins.
Dr. med. Uwe Hauswirth aus Wattwil ist Präsident des Toggenburger Ärztevereins.
Das Jahr 2020 ist nur wenige Tage alt, da jagt eine Spitalstrategieneuigkeit um die andere durch die Medien. Aus ärztlicher Sicht kann man über all dies nur den Kopf schütteln.
(Bild: zVg.)
Was waren in den vergangenen Tagen die Themen: Angrenzende Kantone zeigen Gesprächsbereitschaft zur Zusammenarbeit, das Spital Walenstadt möchte sich zusammen mit Chur und Glarus in einen Spitalverbund Südostschweiz retten, für Wattwil forciert der Lenkungsausschuss die Umnutzung in ein Spezialpflegeheim und in Wil erwacht man langsam aus dem Dornröschenschlaf, weil man erkennt, dass man – wenn es nach den langfristigen Plänen der Regierung geht – ebenso wie das Spital Linth in Uznach von der Bildfläche der kantonalen Spitäler verschwinden könnte. Es brodelt also in der St.Galler Spitallandschaft, und der Wahlkampf dürfte somit auch eröffnet sein.
Aus ärztlicher Sicht kann man über all dies nur den Kopf schütteln, denn an den tatsächlichen medizinischen Bedürfnissen scheint sich niemand wirklich zu orientieren.
Wie auch, denn bei den Verantwortlichen in der Regierung und im Lenkungsausschuss handelt es sich nahezu ausnahmslos um Nichtmediziner. Dieses Desinteresse an medizinischen Belangen kam auch im Rahmen der Vernehmlassung zur Ende Oktober 2019 vorgestellten «4plus5»-Regierungsvorlage (die 4 Spitäler St.Gallen, Grabs, Uznach und Wil sollen erhalten werden, in den 5 jetzigen Spitalstandorten Flawil, Rorschach, Altstädten, Walenstadt und Wattwil sollen ambulante Gesundheits- und Notfallzentren, sog. GNZ, entstehen) zum Ausdruck, wozu der Toggenburger Ärzteverein noch nicht einmal eingeladen wurde!
Aus diesem Grund erachten wir es als unsere zwingende Pflicht, die Allgemeinheit über unsere Sicht der Dinge zu informieren und die Grundzüge unserer dennoch eingereichten Vernehmlassung publik zu machen.
• Das Toggenburg ist nachweislich und laut mehrerer Analysen medizinisch unterversorgt, und dies nicht nur, weil es sich in einer Randlage zu den Hauptverkehrsachsen des Kantons befindet.
• Die stationäre Grund- und Notfallversorgung muss langfristig entsprechend dem Willen der Bevölkerung von 2014 weiterhin am Spital Wattwil sichergestellt werden.
• Dezentrale Strukturen in der stationären medizinischen Versorgung im Kanton müssen bestehen bleiben, weil an einem Zentrumsspital zu wenig Kapazität für Routine-Behandlungen und -Abklärungen vorhanden sind. Diese können in kleineren Spitälern dezentral übersichtlicher, effizienter und v.a. kostengünstiger erfolgen.
• Die zunehmende Spezialisierung und den medizinischen Fortschritt als Argumente für die Zentralisierungsstrategie heranzuziehen, ist falsch. Am Beispiel von Wattwil steht dort ein qualifiziertes Ärzte- und Pflegeteam zur Verfügung, welches über ein hohes Mass an Spezialwissen verfügt und erst recht über die Fähigkeit, den Spezialisten heranzuziehen, wenn dieser nötig ist. Dies hat in Kooperation mit dem Zentrumsspital bisher bestens funktioniert und eine qualitativ hochstehende gesundheitliche Versorgung garantiert. Warum dies nicht weiterhin so funktionieren können soll, ist nicht plausibel. Die schlechten Fallzahlen sind Folge des bereits erfolgten Abbaus mit Wegnahme von Kernkompetenzen/Herzstücken, sind also hausgemacht (mit welcher Absicht?). Ambulant vor stationär für elektive Behandlungen ist eine kostensparende Tatsache, erlaubt aber gerade angesichts des raschen Bevölkerungswachstumes nicht den Rückschluss, dass immer weniger stationäre Behandlungsmöglichkeiten notwendig sind.
• Die Region Toggenburg muss für künftige Ärztegenerationen (v.a. Hausärzte/ Grundversorger, aber auch Spezialisten) attraktiv bleiben. Der persönliche Kontakt zwischen Zuweisern und Spitalärzten, aber auch Spezialisten und Spitalärzten, wirkt sich fraglos qualitätssteigernd aus, resp. fehlender Kontakt hat zur Folge, dass wichtige Informationen verlorengehen können. Der persönliche, fachliche Austausch unter Spital- und Praxisärzten, u.a. auch in Form regelmässiger Fortbildungen und Fallbesprechungen, ist zentraler Bestandteil des ärztlichen, fachlich hochstehenden Wirkens und ganz klar ein Attraktivitätsfaktor für die berufliche Standortwahl. In einem Zentrumsspital mit grosser und häufig wechselnder Ärzteschaft ist dies sehr viel schwieriger zu realisieren. Der Joint Medical Master (Medizinstudium im Kanton St.Gallen mit dem Ziel, Hausärzte aus der Region für die Region auszubilden) mit einer Ausbildungsstätte am Spital Wattwil fördert die Zusammenarbeit zwischen Spital und niedergelassenen Ärzten nachhaltig und wird der dringenden Notwendigkeit, zukünftige Ärztegenerationen für die Region zu gewinnen, ganz grundlegend gerecht. Im Toggenburg arbeiten zurzeit 27 Hausärzte und 14 Spezialisten, Tendenz fallend. Für das Jahr 2028 wurde ein Bedarf von 53 Hausärzten und 19 Spezialisten errechnet. Festzuhalten ist, dass von den 27 derzeit tätigen Hausärzten 14 ihre Ausbildung in einem Spital aus der Region (Wattwil, Grabs) absolviert haben. Das bedeutet grundsätzlich, dass ein Regionalspital für die entsprechende Region eine unmittelbar positive Auswirkung auf die künftige ambulante Grundversorgung hat und damit einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der Attraktivität für den ärztlichen Nachwuchs in einer Region leistet. In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass im Rahmen des Joint Medical Masters für das Spital Wattwil 12 (!) Ausbildungsstellen vorgesehen sind. Zudem ist zu erwähnen, dass bei den schweizweiten Ausbildungsbewertungen Wattwil regelmässig mit Höchstnoten brilliert. Nur so könnte also dem Hausarztmangel im Toggenburg entgegengewirkt und ansatzweise dem Bedarf von 53 Hausärzten in 10 Jahren Rechnung getragen werden.
• Mit dem neuen Notfallkonzept und der Integrierten Notfallpraxis INP ist im Toggenburg ein weiterer Schritt gelungen, die Zusammenarbeit zwischen dem Spital Wattwil und der niedergelassenen Ärzteschaft im Toggenburg zu intensivieren und eine adäquate, zeitgemässe Notfallversorgung aufzubauen.
• Geriatrische Patienten werden aufgrund der Überalterung zunehmen. Diese Patienten benötigen in der Regel keine hochspezialisierten medizinischen Leistungen, sondern eine für Patient und Angehörige wohnortnahe, stationäre altersmedizinische Grundversorgung mit kurzen Transportwegen. Das Spital Wattwil verfügt seit Jahren mit viel Erfahrung über eine bestens funktionierende Geriatrie mit geriatrischer Rehabilitation für ältere Menschen in der Region.
• Ein weiteres Plus des Spitals Wattwil stellt die seit Jahren etablierte Alkohol-kurzzeittherapie dar, welche in der Schweiz in ihrem Konzept einzigartig ist.
Somit kommt der Toggenburger Ärzteverein zum Schluss, dass im Spital Wattwil weiterhin ein medizinisches stationäres Basisangebot der Inneren Medizin und der Allgemeinchirurgie bestehen bleiben muss. Als zusätzliche regionalspezifische Leistungen sollen zudem mindestens Akutgeriatrie und geriatrische Rehabilitation sowie wie bisher die in der Schweiz einzigartige Alkoholkurzzeittherapie angeboten werden. Ansonsten werden der Bevölkerung empfindliche Einschränkungen und Qualitätseinbussen in der medizinischen stationären und ambulanten Grundversorgung zugemutet, die so von der Regierung nicht ausgesprochen resp. bewusst verschwiegen werden,
Für den Toggenburger Ärzteverein stellt auch ein ambulantes Gesundheits- und Notfallzentren GNZ in Wattwil, in der von der Regierung vorgeschlagenen Art, keine Alternative zu einem Spitalbetrieb dar, da damit langfristig und nachhaltig keine adäquate Grund- und Notfallversorgung im Toggenburg gewährleistet werden kann, weil diese GNZ nicht als Hausarztpraxen fungieren, sondern als Akquisitionsstellen für das künftige Universitätsspital St. Gallen. Zudem wird mit dem GNZ-Modell in ein bewährtes und auch gesetzlich verankertes System eingegriffen, das viel mehr Kosten produziert sowie die niedergelassene Ärzteschaft konkurrenziert und existentiell bedroht, wodurch das eigentliche Problem des Hausarztmangels v.a. in den ländlichen Regionen überhaupt nicht in Angriff genommen wird. Im Gegenteil die sinnvollen Ausbildungsstätten vor Ort werden eingestampft.
Dr. med. Uwe Hauswirth aus Wattwil ist Präsident des Toggenburger Ärztevereins.
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