Die Corona-Pandemie stellte die Bildung – auch im Erwachsenenbereich – vor grosse Herausforderungen. Doch was bleibt nach der Krise? Wird sich das E-Learning durchsetzen? Die Schulleiterin der BVS in St.Gallen, Myrtha a Marca, über mögliche Szenarien der Zukunft.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine ergänzende Information zu einem im Printmagazin «Die Ostschweiz» publizierten Artikel. Das Magazin kann via abo@dieostschweiz.ch bestellt werden.
Myrtha a Marca, Wie haben Sie rückblickend die Corona-Situation im Hinblick auf das Thema «E-Learning» erlebt?
Von einem Tag auf den anderen in den «Distance Learning Modus» umzuschalten, war wirklich eine echte Herausforderung, gleichzeitig aber auch eine sehr spannende Erfahrung. Ich glaube, wir alle haben in sehr kurzer Zeit sehr viel gelernt; technisch, organisatorisch und vor allem auch menschlich.
Wie organisierte sich die BVS während dieser Wochen?
Wir haben die kurze Zeit, die uns bis zu den Frühlingsferien noch blieb, auf Skype umgestellt. Während den Frühlingsferien war es uns dann möglich, das E-Learning über das MS Teams zu professionalisieren. Unser Ziel war klar formuliert: Keine Lektion soll abgesagt werden. Es war sehr eindrücklich, wie flexibel unsere Kursleitenden und unsere Kursteilnehmenden einen so raschen Umstieg ins virtuelle Klassenzimmer gemeistert haben. Hier muss ich ein riesiges Dankeschön an unsere Informatikverantwortlichen aussprechen. Sie haben einen grossartigen Einsatz geleistet. Auch die Lehrgangsverantwortlichen haben sich völlig unproblematisch mit der neuen Situation angefreundet und alles darangesetzt, dass das neue Semester pünktlich starten konnte.
Gibt es weitere Punkte, die gut funktioniert haben?
Das Handling mit dem MS Teams war nur den Wenigsten bekannt. Es musste deshalb einiges an Zeit investiert werden, alle mit dem neuen Programm bekannt zu machen. Das Unterrichten musste sozusagen neu erlernt werden – beispielsweise mit Hilfe der Gruppenbildung innerhalb der Lerneinheiten oder der Einsatz elektronischer Hilfsmittel. Es war nicht ganz einfach, so viel Neues in so kurzer Zeit zu erlernen und auch noch umzusetzen. Das Zeitmanagement war herausfordernd. Die Lektionen konnten aber pünktlich und planmässig abgehalten werden. Zu den individuellen Prüfungen konnten sich die Teilnehmenden ebenfalls termingerecht dazuschalten. Der virtuelle Unterricht verlangte eine weitaus höhere Konzentration aller Beteiligten, als es beim Präsenzunterricht der Fall ist. Der Wille, aktiv am Online-Unterricht teilzunehmen, war und ist immer noch erstaunlich. Der digitale Dialog wurde sehr gut akzeptiert und unter den Kursteilnehmenden sogar in eigener Initiative mit eigenen Kanälen selbständig fortgesetzt.
Das tönt alles sehr positiv. Gibt es dennoch Defizite, welche die Corona-Krise im Hinblick auf das E-Learning ersichtlich machte?
Die Defizite sehe ich vor allem in der Infrastruktur. Nur mit dem Handy ausgestattet, ist es praktisch unmöglich, den E-Learning-Anforderungen gerecht zu werden. Nach wie vor sind Unterlagen in Papierform sehr beliebt, doch Drucker und Scanner haben nicht alle zu Hause. Auch ein passendes Laptop mit Kamera und Lautsprecher war nicht immer vorhanden. Zudem fehlt es an geeigneten Räumlichkeiten zu Hause, damit am Unterricht in einer störungsfreien Umgebung teilgenommen werden kann. Theoretische Inhalte lassen sich einfacher online vermitteln als auf die Praxis bezogene Inhalte. Schriftliche Lernkontrollen waren zudem ebenfalls schwierig, im E-Learning umzusetzen. Dazu musste das Prüfungswesen neu aufgebaut werden. Aus meiner Sicht fehlten beim E-Learning die Gruppendynamik, die sozialen Kontakte und der persönliche Austausch. Das Knüpfen der sozialen Kontakte fällt im E-Learning erfahrungsgemäss sehr viel schwerer.
Wo müssten also künftig die Hebel angesetzt werden, um diese Defizite zu bereinigen?
Die Entwicklung des E-Learnings braucht natürlich noch etwas Zeit. Die Corona-Situation hat uns gezeigt, dass es funktioniert, aber vieles kann noch optimiert werden. Grundsätzlich ist auf der digitalen Besprechungsplattform vieles möglich, aber es muss zuerst von allen akzeptiert und umgesetzt werden. Die Lernmethoden und das Prüfungswesen müssen noch besser auf die digitale Welt abgestimmt und das Handling intensiv geschult werden. Die Dauer der Kurseinheiten muss überprüft werden – mit dem Ziel, eher mehr Unterrichteinheiten durchzuführen, dafür eher verkürzt. Denn die Konzentration lässt schneller nach als beim Präsenzunterricht.
Wenn wir einige Wochen oder Monate vorausblicken: Was denken Sie, wird sich das E-Learning nun durchsetzen? Was wären mögliche Szenarien der Zukunft?
Ich bin mir sicher, dass sich das E-Learning im Schulalltag integrieren wird. Besonders in der Informatik ist vieles bereits vorhanden. Wer kennt die unzähligen Erklärvideos von Informatikanwendungsprogrammen nicht? Auch Fremdsprachen können mit der nötigen Eigendisziplin schnell und effizient online erlernt werden. Es gibt viele unterschiedliche Szenarien zum E-Learning: nur E-Learning, kombinierter Präsenzunterricht und E-Learning (blended learning). Es gibt Möglichkeiten, reine Lerninhalte in grossen Gruppen zu vermitteln und anschliessend in kleineren Gruppen die Inhalte individuell zu vertiefen, um so auch auf den Wissensstand jedes einzelnen Teilnehmenden eingehen zu können. Das E-Learning bietet sehr gute Möglichkeiten, dass sich Gruppen innerhalb der Klasse als Lerngruppen bilden. Somit haben alle die Möglichkeit, an einzelnen Meetings teilzunehmen oder sich im Nachhinein anhand des Verlaufs noch zu informieren. Den Möglichkeiten werden keine Grenzen gesetzt. Das E-Learning setzt jedoch eine grosse Eigenverantwortung und Disziplin jedes Einzelnen voraus. Natürlich bietet das Distance Learning noch viele weitere Vorteile, wie beispielsweise Zeitersparnis, Schonung der Umwelt oder grössere Unabhängigkeit.
Welche negativen Folgen hätte die Thematik?
Das E-Learning birgt entsprechend auch Gefahren. Vieles wird durch den fehlenden Präsenzunterricht verloren gehen. Dabei denke ich an die spannenden, spontanen Gespräche in den Gängen der Schule, bei den Kaffeeautomaten, in der Cafeteria, den «Feierabenddrink» nach dem Unterricht, die Pflege der sozialen Kontakte, das Networking und natürlich das Zusammentreffen verschiedener Menschen, die aber alle das gleiche Ziel haben: nämlich, sich weiter zu bilden.
Wie wichtig sind solche sozialen Aspekte?
Teamfähigkeit und soziale Kompetenzen sind selten ausgeschriebene Lernkompetenzen, die während einer Aus- und Weiterbildung bewusst gefördert werden. Im Klassenverbund werden aber gerade diese Kompetenzen während des Präsenzunterrichts ganz automatisch gefördert. Tatsache ist: Die besten Prüfungsresultate werden immer von Klassen erreicht, die einen sehr starken Zusammenhalt haben und sich dadurch gegenseitig motivieren und unterstützen.
Was denken Sie also, wird sich das E-Learning durchsetzen?
Es muss keinesfalls ein Virus sein, welches uns wieder in eine solche Situation bringen kann. Es reichen Naturereignisse, die über Tage oder Wochen Gebiete von der Umwelt abschneiden und somit die Kommunikation nur noch online möglich ist. Oder Arbeitssituationen, die einen regelmässigen Präsenz-Unterrichtsbesuch nicht mehr zulassen, Verkehrsüberlastungen und vieles mehr. Auf jeden Fall muss gewaltig nachgerüstet werden – und das in der Infrastruktur zu Hause und vor allem auch in der Bildung, um die Nutzung solcher Software professionell, sinnvoll und schnell gewährleisten zu können.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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