Es gibt Menschen, die können nicht ohne ganz viel Wärme leben: Kuscheln, sich aneinanderdrängen. Und es gibt Menschen, die können nicht ohne ganz viel Licht leben: zum Beispiel unter dem Himmel des Südens. Eine kleine Typologie. Und ein Geständnis.
Als Gott die Welt erschuf, sagte er nicht: Es werde warm! Er sagte: Es werde Licht! Damit beginnt die Erschaffung der Welt. Mit der Trennung von Licht und Finsternis, von Tag und Nacht. Was der erste Tag der Schöpfung mit mir zu tun hat, in einem ganz unbiblischen Sinn, ist mir erst im Lauf der Jahrzehnte klargeworden. Heute weiss ich: Wenn ich zwischen Wärme und Licht entscheiden muss, dann entscheide ich mich immer für das Licht. Und für den Süden.
Es gibt auch Menschen, denen ist Wärme wichtiger. Wärme von anderen Menschenkörpern, die sich – so stelle ich mir vor – in einer Höhle zusammendrängen. Schutz suchend vor Kälte, Wind und Wetter. Eher in nördlichen Gefilden, dort, wo die Winter lang und dunkel sind. Die beiden Typen, den Licht- und den Wärmesuchenden, gibt es bis heute.
Auch in den Darstellungen der Weihnachtsgeschichte in der Kunst dominiert das Licht: Maria und Joseph, auch die Hirten, sind leicht bekleidet, und das Neugeborene ist sogar, bis auf eine Windel, durchwegs nackt dargestellt. Aber sie frieren nicht. Sie strahlen Licht und Wärme aus.
Kein Wunder deshalb, dass die christliche Tradition Weihnachten auf den Termin der Wintersonnenwende gelegt hat: Jenen Zeitpunkt, an dem die Tage wieder länger, die Nächte kürzer werden. Derweil die Kälte des Winters noch für viele Wochen anhält, ja sich noch verstärkt. Aber wir feiern das Anwachsen des Lichts, nicht jenes der Wärme, für das eher die Tag- und Nachtgleiche im März in Frage käme – mit dem Frühlingsanfang begann ja auch das Jahr bei den alten Römern.
Mit Wärme setzen wir Werte wie Zuwendung, Sympathie und Empathie gleich. Mit der körperlichen Nähe und Berührung wird das Herz, werden Gefühle angesprochen. Das Licht aber wird von den Augen wahrgenommen und vom Verstand. Wenn wir etwas verstanden haben, fühlen wir uns erhellt. Die Aufklärung, jenes Kapitel unserer Kulturgeschichte, in dem der Verstand, das Selberdenken am höchsten geschätzt wurde, heisst denn auch französisch «Siêcle des Lumières», italienisch «Illuminismo» - der Mensch wurde erleuchtet.
Dass die Vordenker der Aufklärung in der Kirche nicht den Hort des Lichts, sondern der Finsternis sahen, soll uns davor warnen, unsere Mitmenschen vorschnell in gute Lichtanbeter und tumbe Wärmesüchtige einzuteilen. Wo viel Licht ist, sind auch die Schatten schärfer. Und in der dunklen Höhle kann eine Kerze wundersamen Schein verbreiten.
In diesem seltsamen Jahr 2020 wurden wir selten von Erleuchtungen heimgesucht. Auch nicht jene, von denen der Volksmund einst sagte: Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand. Die Corona-Ansteckungsgefahren erlaubten aber auch keine wärmespendenden Kuschelerlebnisse. Auch und besonders nicht während dieser Fest- und Feiertage. Nein, hell ist dieses Jahr nicht zu nennen, sondern eher dunkel und trübe.
Daher liegt für mich die Botschaft von Weihnachten 2020 im Licht, das die Hirten umstrahlte, das die Krippendarstellungen glänzen lässt, oder auch nur im Licht einer Kerze. Als Symbol dafür, was wir vom kommenden Jahr erhoffen: Mehr Licht!
Gottlieb F. Höpli (* 1943) wuchs auf einem Bauernhof in Wängi (TG) auf. A-Matur an der Kantonssschule Frauenfeld. Studien der Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften in Zürich und Berlin, Liz.arbeit über den Theaterkritiker Alfred Kerr.
1968-78 journalistische Lehr- und Wanderjahre für Schweizer und deutsche Blätter (u.a. Thurgauer Zeitung, St.Galler Tagblatt) und das Schweizer Fernsehen. 1978-1994 Inlandredaktor NZZ; 1994-2009 Chefredaktor St.Galler Tagblatt. Bücher u.a.: Heute kein Fussball … und andere Tagblatt-Texte gegen den Strom; wohnt in Teufen AR.
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