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Gesellschaftsentwickelung

Extremisten in der Ostschweiz: Sie pflegen bizarre Ideen

In der Ostschweiz machen immer wieder Gruppierungen mit brisantem Gedankengut von sich reden. Manche Gemeinschaften wirken vordergründig harmlos.

Adrian Zeller am 22. März 2024

Im Frühjahr vor 21 Jahren wollte der damals 15-jährige Dominik Bein mit zwei Freunden in Frauenfeld ein Ska-Punk-Konzert besuchen. Dort verprügelten ihn Neonazis dermassen, dass er zeitlebens schwer behindert ist. Die Medien berichteten seither immer wieder über sein Schicksal.

Die gewalttätigen Übergriffe in der Thurgauer Kantonshauptstadt sind ein Symptom für seit längerem bestehende rechtsextreme Strukturen in der Ostschweiz.

Weiterer Beleg

Mitte Januar 2023 machte die rechtsextreme Gruppe «Junge Tat» in St. Gallen auf sich aufmerksam. Am Hauptbahnhof entrollten Mitglieder ein rund 5 x 10 Meter grosses Transparent mit ausländerfeindlichen Parolen. Laut Tages-Anzeiger sollen sich die Mitglieder der «Jungen Tat» zudem geschickt unter Corona-Impfgegner mischen, um dort neue Anhänger zu rekrutieren.

5000 am Nazi-Konzert

Dass Neonazis zudem international gut vernetzt sind, zeigt das Beispiel eines Konzertes im Toggenburg: Am 15.Oktober 2016 trafen sich rund 5000 Neonazis aus Deutschland in der Tennishalle in Unterwasser. Zur Musik von einschlägigen Bands reckten sie den rechten Arm zum Hitlergruss und brüllten «Sieg Heil».

Wenig später versammelten sich Mitglieder der 2022 aufgelösten «Partei national orientierter Schweizer» (PNOS) in einem Restaurant in Kaltbrunn. Dabei spielte die deutsche Nazi-Band «Flak».

Fachleute beurteilen die geografische Randlage der Ostschweiz als bevorzugtes Aktionsgebiet der rechten Extremisten, sie können in verhältnismässig kurzer Zeit ein- oder ausreisen.

Weitreichende Netzwerke

Neonazis aus Deutschland pflegen sehr gute Kontakte zu Gesinnungsgenossen in der Schweiz, sagte der deutsche Exponent Alexander Kurth gegenüber einem SRF-Reporter. Augenzeugen berichten von Autos mit Schweizer Kennzeichen, die öfters vor Treffpunkten der Neonazis im Osten Deutschlands gesehen werden.

Erfolgloser Kandidat

Ein Ostschweizer mit radikaler Gesinnung und guten Verbindungen zu Gesinnungsfreunden in Ostdeutschland ist Ignaz Bearth. Der in Werdenberg aufgewachsene und zeitweise in Uzwil wohnhafte, lebt mittlerweile in Ungarn.

In seiner Zeit in der Schweiz wirkte er zeitweise als Sprecher des Schweizer Ablegers der PEGIDA, der in verschiedenen Ländern Europas aktiven «Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes». 2015 kandidierte er für die rechte Direktdemokratischen Partei Schweiz für den Nationalrat, 2016 wollte Bearth in den St. Galler Kantonsrat einziehen. Beide Male erfolglos.

Von Klubschule entlassen

Ein weiteres Mitglied der oben erwähnten PNOS ist Bernhard Schaub, der als pädagogischer Mitarbeiter der Migros-Klubschule in Frauenfeld wirkte. Aufgrund eines rassistischen Vortrags wurde er dort entlassen.

Schaub, der zeitweise als Geschichtslehrer an einer Rudolf-Steiner-Schule wirkte, war zuvor bereits durch nazifreundliche Publikationen aufgefallen. Zudem ist er Gründer einer Vereinigung von Holocaust-Leugnern. Zeitweise lebte er als Sozialhilfeempfänger in Kreuzlingen.

In unterschiedlichen Themenfeldern aktiv

Ausser der obigen Auswahl von Vertretern der Neonazi-Szene, sind in der Ostschweiz auch Gemeinschaften aktiv, die ihre extreme Weltanschauung eher im Verborgenen pflegen, dies fand ein anonymes Autorenkollektiv heraus. (https://barrikade.info/article/5677)

Die Anhänger engagieren sich sehr unterschiedlichen Themenbereichen, wie etwa in Privatschulen mit besonderen pädagogischen Konzepten, im Gesundheitsbereich, in ökologischen Lebensformen sowie in esoterischen Gemeinschaften.

Sie bewegen sich oft in Grauzonen; nicht immer ist das antisemitisches Gedankengut so offenkundig wie bei der sogenannten Germanischen Neuen Medizin, die sich als komplementärmedizinische Behandlungsmethode empfiehlt, allerdings mit abenteuerlichen Behandlungsansätzen, wie das Portal relinfo.ch aufzeigt. Dem Begründer der Germanischen Neuen Medizin, dem deutschen Arzt Ryke Geerd Hamer, wurde die Approbation entzogen; er verbüsste zudem mehrere Haftstrafen.

Die Schulmedizin ist gemäss der Germanischen Neuen Medizin von jüdischem Gedankengut durchsetzt und daher abzulehnen. Ein Referent trat zum Thema Germanische Neue Medizin in Wattwil auf. Zudem leben Anhänger dieser bizarren Heilkunde in der Ostschweiz.

Rechtsesoterisches Milieu

Weniger offensichtlich ist die Situation bei der Bewegung der Familienlandsitze, die vor allem auf Selbstversorgung und naturnahe Lebensweise setzt. Sie wurde durch die Anastasia-Bücher des russischen Autors Wladimir Megere inspiriert. Laut Wikipedia enthalten seine Schriften antisemitisches und rechtsesoterisches Gedankengut.

Sektenexperte Hugo Stamm hat Vorbehalte gegenüber der die Anastasia-Bewegung, er macht bei ihr rassistisches Gedankengut aus. Zum Teil werden Kinder der Bewegung nach speziellen pädagogischen Ansätzen in Privatschulen oder im Homeschooling unterrichtet. Ein umstrittenes Festival von Anastasia-Anhängern fand 2019 in der Nähe von Degersheim statt.

Vermengungen von Weltanschauungen

In der Szene der ökologischen Gemeinschaften sind die Trennlinien zwischen Pflege von alternativen Lebensweisen und rechtsesoterischen Ansichten nicht immer trennscharf zu ziehen. Eine legitime gesellschafts- und konsumkritische Haltung kann sich einer verschwörungstheoretischen Spekulation durch eine angebliche heimliche Weltregierung annähern. Damit können sie auch in den Dunstkreis von antisemitischen Welterklärungstheorien geraten. Der deutsche Religionswissenschaftler Matthias Pöhlmann macht in seinem Buch «Rechtes Esoterik» auf unheilvolle Mixturen von zweifelhaften Weltanschauungen aufmerksam.

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Autor/in
Adrian Zeller

Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.

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