Aktuell ist unsere Redakteurin Nadine Linder selbst auf Tinder aktiv, um ihren Märchenprinzen zu finden. Gleichzeitig begleitet sie aber ein seltsames Bauchgefühl, seit sie die Doku über den «Tinder-Schwindler» bei Netflix gesehen hat.
Schmetterlinge im Bauch, ein romantisches Date oder vielleicht sogar die grosse Liebe. Damit werben alle Dating-Apps. Sie bergen aber auch Gefahren. Davon handelt die Doku « Der Tinder-Schwindler», die zurzeit die Nummer 1 in den Schweizer Netflix-Charts ist. Unsere Kulturredakteurin Nadine Linder hat sich mit dem Film auseinandergesetzt.
Auf der Suche nach der grossen Liebe verkaufen wir uns wohl alle gerne ein bisschen besser, als wir es in Wahrheit sind. Wir zeigen unsere Schokoladenseite und tricksen hie und da, um unserem Gegenüber möglichst gut zu gefallen. Dabei machen wir uns vielleicht ein wenig schlauer als wir es sind oder bearbeiten unsere Fotos, um möglichst gut auszusehen. Gerade auf Dating-Plattformen ist es nicht schwierig, sich möglichst gut zu verkaufen und vielleicht etwas schlanker, jünger oder erfolgreicher zu wirken.
Neben diesen harmlosen Mogeleien, gibt es auf den Dating-Apps aber auch wirkliche Betrüger. Davon handelt die Netflix-Dokumentation «Der Tinder-Schwindler». Im Zentrum der Doku steht dabei Simon Leviev, der sich über Tinder zehn Millionen Dollar bei Frauen ergaunert haben soll.
Vom Traummann zum Alptraum
Simon Leviev gibt sich als Prinzen aus – von dem wohl viele Frauen träumen. Er ist nicht nur ein gutaussehender Junggeselle, sondern auch Erbe eines Diamantenunternehmens und somit zukünftiger Milliardär. Das alles ist aber nur die Masche des jungen Herren. Diese tischt Simon Leviev mehreren Frauen gleichzeitig auf und geht dabei immer gleich vor.
Um seine Geschichte des reichen Prinzen glaubhaft zu machen, lädt der «Tinder-Schwindler» seine Frauen beim ersten Date in ein Sterne-Restaurant ein und kurz darauf in seinen Privatjet, um gemeinsam ins Ausland zu fliegen. Mit dieser Masche überzeugt er die Frauen von seiner Geschichte.
Nach dieser ersten Phase des Lovebombings und des Lebens in Saus und Braus gibt Simon Leviev an, mit dem Tod bedroht zu werden und Geld zu brauchen. Er könne seine Kreditkarten nicht nutzen, weil ihn dadurch seine Verfolger aufspüren würden.
Für diese Art des Betruges wurde der heute 31-Jährige in der Vergangenheit mehrmals festgenommen und auch verurteilt. 2015 in Finnland zu drei Jahren Gefängnis wegen Betrugs an mehreren Frauen und 2019 in Griechenland zu 15 Monaten wegen eines gefälschten Passes. In beiden Fällen wurde er aber frühzeitig entlassen und befindet sich aktuell auf freiem Fuss.
Die weiblichen Opfer
«Der Tinder-Schwindler» lässt verschiedene Opfer von Simon Leviev zu Wort kommen. Die drei betroffenen Frauen – Pernilla Sjöholm, Ayleen Charlotte und Cecilie Fjellhøy wurden mit derselben Masche um 800'000 Franken betrogen.
Er selbst kommt in der Doku nicht zu Wort – oder zumindest nicht direkt. Es werden unzählige Nachrichten gezeigt oder auch Sprachnachrichten veröffentlicht, die die Opfer aufbewahrt haben. Dabei zeigt sich ziemlich klar, dass Simon Leviev zwei Gesichter hat. Bei den Nachrichten sind neben zuckersüssen Liebesschwüren nämlich auch weniger nette Mitteilungen dabei, die neben der aufgebauten Fassade auch seine wahre Persönlichkeit zeigen.
Eine Doku über Dreistigkeit und Naivität
Ich weiss bis heute nicht, was mich beim Film «Der Tinder-Schwindler» mehr schockiert hat. Die Dreistigkeit des Betrügers oder die Naivität und Gutgläubigkeit der Betrogenen. Denn selbst wenn die Lügen von Simon Leviev immer mehr ans Licht kamen, glaubten ihm die Frauen weiterhin. Natürlich ist es als Aussenstehende und nicht Betroffene immer einfacher, daran zu glauben, dass mir so etwas nicht passiert wäre. Wenn man bereits verliebt und in den Fängen eines solchen Betrügers steckt, sieht die Realität wohl anders aus. Der Film zeigt jedenfalls deutlich auf, was die Liebe und der Wunsch nach dem Märchenprinzen aus uns Frauen machen kann.
Fazit
«Der Tinder-Schwindler» spielt gekonnt mit verschiedenen Emotionen und Gefühlen seiner Zuschauer. Für mich war es eine Mischung aus Wut, aber auch immer wieder Staunen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich in nächster Zeit einem angeblichen Milliardären bei Tinder begegne, ist zwar ziemlich klein, der Film zeigte mir aber zumindest sehr deutlich auf, allgemein kritischer zu sein und Angaben besser einmal mehr zu hinterfragen.
Nadine Linder war Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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