Ostschweizer National- und Ständeräte ziehen Halbzeitbilanz und schätzen die aktuelle Lage ein. Heute: SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher (*1964). Im Interview erklärt sie, was ihrer Meinung nach zu Verunsicherungen und Unmut in der Bevölkerung geführt hat.
Wir haben bewegte Zeiten hinter uns. Wie hat sich das Schweizer Politsystem als Gesamtes in dieser aussergewöhnlichen Lage geschlagen bzw. bewährt?
Unser föderalistisches System hat sich schnell der ausserordentlichen Situation angepasst und trotz teilweisem Sand im Getriebe bewährt und funktioniert.
Und welches Zeugnis stellen Sie dem Bundesrat aus?
Im Lockdown trat er geeint mit einer Stimme auf. Das hat Vertrauen in der Bevölkerung geschaffen. Ich bin sehr froh, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern nie eine Ausgangssperre hatten. Bei den Lockerungsmassnahmen war der Druck verschiedener Lobbyisten auf die einzelnen Mitglieder des Bundesrats ersichtlich und zeigte sich auch gegen aussen mit unterschiedlichen Haltungen. Das hat zu Verunsicherungen und Unmut in der Bevölkerung geführt.
Welcher Aspekte, welches Ereignis war für Sie in der gesamten Corona-Situation wie ein Schlag in die Magengrube?
Jeden Tag die Todesfallzahlen zu hören und sich vorzustellen, wieviel Schmerz das für die Betroffenen und ihre Angehörigen verursacht.
Was bleibt für Sie hingegen äusserst positiv in Erinnerung?
Wir hatten nie eine Ausgangssperre. Ich konnte immer wenn ich Zeit und das Bedürfnis hatte in der grünen Umgebung von Frauenfeld meine Nordic Walking Touren machen. Das gab mir immer wieder frische Energie für die politische Arbeit.
Woran sollten sich die Wählerinnen und Wähler im grossen Wahljahr 2023 unbedingt zurückerinnern, bevor sie die Wahlzettel ausfüllen?
Wer hat solidarisch gedacht und gehandelt und wem ging es nur um seine oder ihre persönlichen Interessen?
Welche Bereiche, in denen dringend Handlungsbedarf besteht, gerieten durch die Corona-Diskussionen eher in den Hintergrund?
In dein Sachbereichen lief glücklicherweise alles im gewohnten Rahmen weiter ohne liegenzubleiben. Ganz klar litt jedoch die Kompromissfindung und das Arbeiten an strategischen Projekten weil die persönlichen Gespräche und Kontakte durch die Pandemie sehr stark reduziert waren und man nicht im Anschluss an eine Sitzung noch zusammensitzen konnte um etwas zu klären oder eine Idee zusammen zu entwickeln. Darauf freue ich mich wieder!
Marcel Baumgartner (*1979) ist Co-Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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