Der Migros ist ein gezielter Schlag gegen die organisierte Polizeigewalt in den USA gelungen - mit einem Griff ins Ladengestell.
Wir werden seit rund eineinhalb Jahren regelmässig und förmlich auf die Strasse gejagt.
Zunächst von einem schwedischen Teenager, der nach einem besonders heissen Tag in der Badi beschloss, mit einem Pappschild in der Hand in den Schatten eines grossen Gebäudes zu sitzen und gegen diese verdammte Hitze zu protestieren. Danach machten es ihr tausende Jugendliche in der Schweiz nach mit der Konsequenz, dass sie in einigen Jahren bei einem Besuch in der Westschweiz nicht mal ein Bier auf Französisch bestellen können, weil sie in der Schule gefehlt haben.
Danach war es ein chinesisches Virus, das uns auf die Strasse trieb. Dort demonstrierten die Leute dagegen, dass sie nicht mehr auf die Strasse gehen sollten. Worauf sie von der Polizei gebüsst wurden, weil sie auf der Strasse waren. Inzwischen dürfen wir übrigens wieder auf die Strasse, wollen aber gar nicht so recht. Und demnächst werden wir sowieso nicht mehr rausgehen, weil wir ohne Geld nicht wissen, was wir dort sollen.
Und nun sind die Massen draussen, um aus Anlass eines aktuellen Falls von Polizeigewalt in den USA zu demonstrieren. Weil es seltsam wäre, wenn man sich in der Schweiz lautstark über den gewaltsamen Tod eines Amerikaners beschwert, richtet sich die Demonstration gegen den «strukturellen Rassismus». Strukturell ist ein Zauberwort, das man immer dann nimmt, wenn man gerade keinen konkreten Fall benennen kann. Jemand, der das Geld sinnlos aus dem Fenster rauswirft, hat beispielsweise ein strukturelles Finanzproblem. Das klingt bei der Familienfeier viel besser.
Wie bekämpft man strukturelle Probleme? Indem man Symbole setzt. Erstes Opfer: Der Mohrenkopf. Weil der Begriff «Mohr» historisch belastet ist. Das weiss zwar niemand mehr und schon gar nicht die Kinder, die den Mohrenkopf essen. Aber sobald sie die Zähne in den Zuckerschaum hauen, begehen sie eigentlich nichtsahnend einen Akt des strukturellen Rassismus.
Davor werden sie von der Migros bewahrt, indem man die Mohrenköpfe einfach aus dem Laden verbannt. Damit zeigt der Grossverteiler knallhart, dass er sich gegen strukturellen Rassismus einsetzt. Und das um jeden Preis, vermutlich wird der Umsatz in diesem Jahr um satte 0,0000000000000001 Prozent sinken. Ausserdem lenkt man so perfekt von lästigen Diskussionen darüber ab, wie die Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern aussehen, aus denen viele der Produkte im Ladengestell kommen. Mohrenkopf weg, Medienmitteilung verschickt, Signal gesendet. Volg hats dann gleich nachgemacht, weil es so einfach und wirkungsvoll ist.
Wir sollten uns frühzeitig überlegen, für was wir auf die Strasse gehen, sobald alle Leute statt dem Mohrenkopf ein «Twix white» essen, das politisch nun wirklich überkorrekt ist. Uns fällt gerade nichts ein, aber wir sind uns sicher: Andern schon. Bald.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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