Marloes Caduff
2016 gründete die Ingenieurin Marloes Caduff aus Schmerikon die Firma «Codillion». Das Unternehmen bringt Jungen und Mädchen zwischen 5 und 14 Jahren spielerisch bei, wie Technik und Computer funktionieren, und zeigt ihnen, dass in Computern mehr steckt als nur Games und Videos.
Marloes Caduff wurde 2017 von der «Bilanz» und von der «Handelszeitung» im «Who is who der digitalen Schweiz» als eine der hoffnungsvollsten Start-up-Unternehmerin aufgeführt.
Marloes Caduff, aus welchen Überlegungen heraus entstand die Idee, eine Programmierschule für Kinder zu gründen?
Als Mutter zweier Töchter war ich auf der Suche nach einem Kurs, der meinen Töchtern spielerisch erklärt, was sie eigentlich in der Hand haben, wenn sie ein Tablet oder iPad bedienen. Ich wollte, dass sie das Gerät nicht als magische Blackbox wahrnehmen, das man einfach nur bedienen kann. Sie sollten das Kreative, Innovative und Logische dahinter verstehen, damit sie eigene Ideen verwirklichen können, statt sich nur mittels Videos oder Spielen zu unterhalten. Da ich nicht fündig wurde, habe ich mich in diese Thematik eingearbeitet und war rasch von der Nachfrage überrascht. Entsprechend habe ich mich entschlossen, die Kurse systematisch anzubieten – und das machen wir nun seit bald zwei Jahren.
Vor allem «Computational Thinking», eine wichtige Kompetenz in der Welt des 21. Jahrhunderts, soll geschult werden. Was versteht man darunter?
Die Paderborn-Universität verwendet folgende Definition: «Computational Thinking bezieht sich auf die individuelle Fähigkeit einer Person, eine Problemstellung zu identifizieren und abstrakt zu modellieren, sie dabei in Teilprobleme oder -schritte zu zerlegen, Lösungsstrategien zu entwerfen und auszuarbeiten und diese formalisiert so darzustellen, dass sie von einem Menschen oder auch einem Computer verstanden und ausgeführt werden können.» Viele verwechseln Computational Thinking mit Programmieren. Programmieren ist nur ein Werkzeug; die Grundfähigkeit aber ist die Problemlösung: Das Problem soll methodisch so aufgearbeitet werden, dass es letztlich auch von einem Computer gelöst werden kann.
Wie muss man sich einen solchen Kurs bei Ihnen vorstellen? Ist er vor allem auf technisch interessierte Kinder ausgerichtet?
Nein, er ist für alle Kinder ausgelegt. Wir setzen keine Kenntnisse voraus. Der Spass und die Lust am Entdecken stehen im Vordergrund. Unsere Kurse sind eine Mischung als Spiel, Spass und Basteln – wir nennen das unplugged. Das heisst: ohne digitale Hilfsmittel. Die Kinder programmieren sich zum Beispiel gegenseitig, um durch ein Labyrinth zu kommen. Auch spielen die Kinder Computerkomponenten wie Grafikkarte oder RAM und ROM nach. Im anderen Teil kommen dann Tablets und Lernroboter zum Einsatz.
Die heutigen Kinder wachsen bereits in einer äusserst digitalisierten Umgebung auf. Sind wir Eltern grundsätzlich dafür gewappnet?
Zum Teil. Wir Eltern haben eine Vorbildfunktion. Was man gar nicht so realisiert, ist, dass bereits ein Baby das Handy mehrmals täglich direkt vor seinem Gesicht sieht, wenn Fotos und Videos gemacht werden. Auch realisiert ein Kind bereits sehr schnell, dass das Handy sehr wichtig ist, weil die Eltern es laufend benützen. Entsprechend ist es nur selbstverständlich, dass das Kind sich dafür interessiert. Ihm dieses Gerät dann aber zu verbieten oder nicht einmal ansatzweise zu erklären, ist aus meiner Sicht kontraproduktiv. Das Verbot macht das Gerät nur noch interessanter. Wenn man hingegen aufzeigt, wie man eine eigene Geschichte per App erstellen oder ein kleines Spiel programmieren kann, werden bereits bestimmte Fähigkeiten gezielt gefördert. Letztlich soll es einen gesunden Mix zwischen den verschiedenen Aktivitäten geben. Wir Eltern müssen aber auch unser eigenes Verhalten mit den Geräten genau beobachten und hinterfragen.
Wo sehen Sie im Bereich der gesamten Digitalisierung die grössten Gefahren?
Die Sicherheit hält mit der rasanten, digitalen Vernetzung häufig nicht ganz Schritt. Da müssen vor allem Eltern sehr vorsichtig sein, wie sich die Kinder im Netz bewegen. Wichtig sind ein wachsames Auge, ein gemeinsames Erleben und eine offene Gesprächskultur. Wir sollten den Kindern beibringen, wie man sich im Internet verhält. Auch der Weg zum Kindergarten oder zur Schule wird ja vorgängig einige Male geübt: Man weist auf mögliche Risiken hin und erklärt dem Kind, wie es sich verhalten soll. Dasselbe sollte auch im Umgang mit elektronischen Geräten und dem Internet geschehen. Das kann durchaus auch verspielt, also altersgerecht, sein.
Sind unsere Schulen auf die aktuellen und künftigen Entwicklungen vorbereitet? Oder muss die Art und Weise, wie unterrichtet wird, überdacht werden?
«Computational Thinking» eignet sich nicht als Frontalunterricht, sondern als Projektarbeit, bei der die Lehrer die Kinder coachen und begleiten, sich selber die Fähigkeiten anzueignen. Solche Projekte sind nicht getrennt nach einzelnen Fächern, sie sind übergreifend. Nehmen wir das Beispiel «Abfallrecycling»: Die Sammelroute im Dorf kann auch per Computer programmiert und simuliert werden. Und wenn man eine Homepage für eine Recyclingfirma erstellt, benötigt es ein gutes Deutsch, eine kreative Darstellung, Zusammenarbeit und auch Entrepreneurship. Dies ist eine andere Art des Unterrichtens.
Werden die digitalen Hilfsmittel demnach Lehrer niemals ersetzen können?
Nein, ganz und gar nicht. Sie werden die Lehrer entlasten, damit diese mehr Zeit für das einzelne Kind haben und somit der Unterricht personalisierter durchgeführt werden kann. Durch den gezielten Einsatz von Hilfsmitteln kann der Lernstand des Kindes aber überprüft werden und weitere Aufgaben können auf Schwächen eingehen. Wahrscheinlich wird in Zukunft nicht die ganze Klasse dieselben Hausaufgaben machen, sondern jedes Kind bekommt solche, die auf es abgestimmt sind.
Kinder mit der Digitalisierung vertraut zu machen, ist der eine Aspekt. Wie wichtig ist es aber auch, sie zwischendurch gezielt davon zu befreien?
Auch hier ist wieder die Vorbildfunktion der Eltern gefragt. Langeweile stellt für ein Kind einen wichtigen Prozess dar. Es muss eigene Ideen kreieren. Wenn wir Eltern selber in jeder freien Minute nach dem Handy greifen, senden wir falsche Signale aus. Das freie Spiel ist für Kinder enorm wichtig. Durch solche Erfahrungen wird das logische und kreative Denken gefördert. Ein Aspekt, der für das Computational Thinking entscheidend ist.
Ihr Unternehmen ist noch jung. Wie hat es sich grundsätzlich in den ersten Monaten entwickelt?
Wir konnten nach relativ kurzer Zeit bereits Kurse in diversen Städten der Schweiz anbieten. Auch sind wir vermehrt in Schulen unterwegs und haben kürzlich in Wollishofen ein eigenes «Coding & Robots Studio» eröffnet, in dem uns Schulen besuchen können, um die digitale Welt zu entdecken.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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