Autor/in
Andreas Balg
Andreas Balg ist Konsulent bei Nellen & Partner in St.Gallen
Andreas Balg ist Konsulent bei Nellen & Partner in St.Gallen
Vom Fachkräftemangel hören wir täglich. Worin genau besteht dieser Mangel? Handelt es sich um einen Mismatch zwischen Angebot und Nachfrage - oder spielen Vorurteile eine Rolle? Und: Nutzen wir das vorhandene Arbeitskräfteangebot?
Zum Arbeitskräftemangel lesen wir jeden Tag aufs Neue in den Medien. Der Begriff suggeriert, dass es nicht genügend Fachkräfte gibt, um offene Stellen zu besetzen. Gleichzeitig hören wir von Menschen, die über eine gute Ausbildung verfügen, aber nur schwer eine neue Stelle finden. Liegen die angebotenen und geforderten Qualifikationen wirklich so weit auseinander?
Die digitale Transformation verändert die Ausbildungs- und Arbeitswelt. Wer in den 1970er und 1980er Jahren die Ausbildung oder ein Studium absolvierte, erlebte ein anderes Bildungssystem als heute. Ältere Mitarbeitende brauchen deshalb für digitale Themen manchmal andere Lernformen oder mehr Zeit. Daher bevorzugen viele Unternehmen junge und digital erfahrene Mitarbeitende. Das technische Verständnis sollte aber nicht am Lebensalter festgemacht werden. Es gibt digitale Vollprofis mit Ende 50 und (weitgehend) analoge Offliner in den späten 20ern.
Die Perspektive der Bewerber
Verändert sich das eigene Berufsbild, bringt nicht jeder Bewerber die neu geforderten Fähigkeiten mit. Suchen Kandidaten mit langer Berufserfahrung und höherem Lebensalter eine neue Stelle, sind sie manchmal gegenüber digitalen Themen zu wenig aufgeschlossen. Erwarten sie trotzdem, nach dem Stellenwechsel mehr zu verdienen oder mindestens auf ihrem Einkommensniveau zu bleiben, haben sie es schwer. In diesem Fall wäre es ratsam, sich allenfalls mit einem geringeren Salär zufriedenzugeben.
Wer sich mit über 50 Jahren auf eine neue Stelle bewirbt, bekommt mitunter schnell eine Absage. Zu unterstellen, dass Bewerber im Alter 50plus nach der Rente schielen, ständig krank werden und nicht mehr lernwillig sind, ist meist falsch, immer diskriminierend und wenig zielführend. Ein offenes Denken seitens der Entscheider kann helfen, von Denkmustern wie «älter = teurer» und umgekehrt «was nichts kostet, ist nichts wert» wegzukommen.
Für manche Start-ups stellen sich solche Fragen nicht. Sie zahlen jedem Mitarbeitenden das gleiche Gehalt oder mindestens für jede Funktion das gleiche Salär. Spezialisten einer gefragten Nische können einen hohen Lohn fordern. Ist das Unternehmen nicht bereit, diesen zu zahlen, bekommen sie problemlos ein anderes Angebot.
Was können die Arbeitgeber tun?
Manches Unternehmen besetzt nur mit Mühe seine offenen Stellen, weil es nicht als attraktiver Arbeitgeber gilt. Dazu kann ein schlecht erreichbarer Standort beitragen oder eine Branche mit niedrigen Gehältern. Oder sitzt an der Unternehmensspitze ein „Patriarch“ der alten Schule, der keinen Widerspruch duldet und nicht an einer offenen Diskussion interessiert ist? Jüngere Mitarbeitende sind es gewohnt, sich einzubringen und möchten gehört werden. Umgekehrt stellt vielleicht ein junger Geschäftsführer nur seinesgleichen ein und verzichtet auf eine gute Mischung im Team.
Moderne Rahmenbedingungen der Arbeit haben noch lange nicht in allen Unternehmen Einzug gehalten. Möchte der Bewerber regelmässig im Home Office arbeiten, oder wünscht er sich flexible Arbeitszeiten, mag dies ausschlaggebender sein als ein paar Prozent mehr Lohn.
Selbst wenn ein Unternehmen hoch moderne Arbeitsplätze und Home Office anbietet, mangelt es gelegentlich daran, diese Vorzüge authentisch und transparent zu kommunizieren. Verzichtet das Unternehmen auf eine Präsenz in Social Media und reagiert nicht auf Kritik auf Arbeitgeberbewertungsplattformen, bekommt es leicht ein altmodisches Image.
Präferieren die Unternehmen junge Mitarbeiter, sollten sie nicht vergessen, dass ein 55-Jähriger mit viel Erfahrung noch einige Jahre wertvolle Arbeit leisten kann, wenig Einarbeitung benötigt und eventuell internationale Erfahrung hat. Der 35-Jährige hingegen plant vielleicht in Gedanken den nächsten Karriereschritt und ist nach spätestens drei Jahren wieder weg. Dafür bringt er neue Erkenntnisse aus einer modernen Ausbildung und einen spielerischeren Umgang mit den neuen Medien mit.
Was bietet der Headhunter?
Der Personalberater prüft, ob Arbeitgeber und Arbeitnehmer gut zusammenpassen, und sorgt für die bestmögliche Besetzung der Vakanz. Mit seiner Beratung unterstützt er beide Verhandlungspartner und engagiert sich für eine reibungslose Customer Experience im Bewerbungsprozess. Im Durchschnitt legen ältere Mitarbeiter mehr Wert auf Titel und Gehalt, jüngere auf flexible Arbeitsbedingungen und attraktive Benefits. Als objektives Bindeglied zwischen beiden Parteien kann der Headhunter die Bewerber beraten und mit ihnen über ihre im Einzelfall zu hohen Erwartungen sprechen.
Personalberater sensibilisieren die Unternehmen dafür, dass es heute unterschiedliche Karrierewege gibt. Wer nach einer Beförderung die fachliche Arbeit vermisst und wenig Freude an Personalführung hat, begeht keinen Rückschritt, wenn er wieder eine Spezialisten-Funktion einnimmt. Als Karriereberater zeigt der Headhunter dem Bewerber, dass eine attraktive Fachkarriere genauso viel wert sein kann wie die klassische Führungslaufbahn. Auch hilft er, Benefits wie flexible Arbeitsbedingungen als einen Gehaltsbestandteil zu bewerten. Nur Gehälter verschiedener Stellen miteinander zu vergleichen, ist nicht immer zielführend.
Sucht das Unternehmen einen IT-Spezialisten, sensibilisiert der Headhunter dafür, dass sich diese stark nachgefragten Fachkräfte auf einem Arbeitnehmermarkt bewegen. Daher sollte der Arbeitgeber den Bewerbern die zu erwartenden Benefits aufzeigen. Gibt es davon zu wenig und ist das Unternehmen nicht bereit, seine Unternehmenskultur auf den Prüfstand zu stellen, gilt es die Anforderungen an die Kandidaten zu prüfen. Vielleicht hätte das Unternehmen gerne einen Digital Innovation Expert, kann ihm jedoch (noch) nicht die passende innovative Umgebung anbieten, weil der nötige Generationenwechsel erst bevorsteht.
Insgesamt ist es wichtig, sich von Vorurteilen zu befreien und Pauschalurteile durch eine kluge Einzelfallbetrachtung zu ersetzen.
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