Denn eigentlich alles andere aus seinem Privat- und Geschäftsleben ist bereits veröffentlicht. Auch durch die NZZ, die sich damit Tamedia und CH Media aneschliesst.
Überweisungen von Privatkonten des gefallenen Raiffeisenstars Pierin Vincenz? Lukas Hässig von «Inside Paradeplatz» hat Daten und veröffentlichte sie. Spesenabrechnungen von Vincenz zuhanden seines Arbeitgebers? Die «Sonntagszeitung» hat sie. Ein Termin für die Einvernahme von Vincenz bei der Staatsanwaltschaft? «20Minuten» hat ihn.
Seit Jahren «arbeitet die Staatsanwaltschaft mit Hochdruck daran, die Anklageschrift gegen Vincenz zusammenzustellen», wusste der Oberchefredaktor von Tamedia schon im August 2018. Er wusste auch, dass «die Anklage möglichst bis Frühjahr 2019 stehen» sollte. Fast zwei Jahre später hat der Hochdruck offenbar noch nicht nachgelassen, aber auch keine Resultate gezeitigt.
Es gibt wohl kaum einen Fall in der jüngeren Rechtsgeschichte der Schweiz, bei dem dermassen vieles an die Medien durchgestochen wurde. Der vollständige Untersuchungsbericht der Bankenaufsicht FINMA? Strikt vertraulich, aber tropfte raus. Er konstatierte schweres Versagen der Aufsicht bei Raiffeisen. Weniger beachtet wurde, dass die gleiche FINMA diese Strukturen von Raiffeisen immer wieder durchgewinkt hatte. Also hätte sie eigentlich sich selbst eins über die Rübe geben müssen.
Besuche in anrüchigen Lokalen in Zürich, selbst die Grösse der Zelle während der Untersuchungshaft, sein Eheleben, es gibt eigentlich kaum mehr etwas von Vincenz, das nicht von den Medien beäugt wurde. Natürlich auch sein Geschäftsgebaren. Denn das und nur das ist aufgrund einer Strafanzeige von 2017 das Thema einer Strafuntersuchung.
Der Vorwurf lautet auf ungetreue Geschäftsbesorgung. Also wirtschaften in den eigenen Sack, womit der Arbeitgeber geschädigt wird. Dann noch absichtlich, also mit Vorsatz. Dafür stellt der Artikel 158 des Strafgesetzbuches hohe Hürden auf. Kein Wunder, dass interessierte Kreise medialen Druck machen, um zumindest eine Vorverurteilung zu erreichen.
Interessiert sind der Staatsanwalt, der schon zweimal mit ähnlichen Verfahren auf die Schnauze fiel. Interessiert ist Raiffeisen, die immer noch Millionenforderungen von Vincenz befürchtet. Nicht interessiert ist einzig Vincenz selbst, der zudem von einem Anwalt vertreten wird, dessen einzige Antwort auf Anfragen immer ist: «Kein Kommentar.»
Raiffeisen selbst gab insgesamt drei Gutachten in Auftrag, die die Geschäfte von Vincenz untersuchten. Das erste stammt von 2009, als es um die Umstände ging, wie die Firma Aduno, deren VR-Präsident Vincenz war, die Firma Commtrain gekauft hatte. An der Vincenz über einen Strohmann beteiligt war, ohne das offenzulegen. Dann untersuchten die Koryphäen Bruno Gehrig und Peter Forstmoser alle Transaktionen von Vincenz.
Alle kamen zum gleichen Schluss, inklusive FINMA. Versagen der Aufsicht innerhalb von Raiffeisen, möglicherweise anrüchige Transaktionen von Vincenz, aber kein strafrechtlich relevantes Verhalten gefunden.
Nun liegen der NZZ alle einschlägigen Gutachten vor, wie sie stolz vermeldet. Den Gutachtern sei aber entgangen, dass Vincenz, beziehungsweise sein Kompagnon Beat Stocker, beim Ankauf der Firma Commtrain durch Aduno sozusagen mit sich selbst verhandelte.
Da liegt natürlich die Vermutung nahe, dass die Höhe des Kaufpreises, von der dann Vincenz und Stocker als verdeckte Mitbesitzer von Commtrain profitierten, nicht wirklich marktgerecht ausgehandelt wurde.
Wäre das der Fall, hätten wir einen klaren Fall von ungetreuer Geschäftsbesorgung, zumindest von Stocker, der zurzeit des Kaufs CEO von Aduno und Mitbesitzer von Commtrain war, ohne das offenzulegen.
Zudem stritt Vincenz damals auf Nachfragen ab, am Mehrheitsaktionär von Commtrain namens iFM beteiligt zu sein. Obwohl die Birefkastenfirma sein Anwalt in Zug gegründet hatte und Vincenz sowie Stocker wohl die einzigen Besitzer von iFM waren, hingegen gegen aussen nur der Anwalt auftrat.
Ist das anrüchig? Das stinkt sogar zum Himmel. Denn Stocker verhandelte den Kaufpreis als Aduno-CEO mit ebendiesem Anwalt als Vertreter des Hauptaktionärs von Commtrain. Also eigentlich mit sich selbst.
Stinkt das zum Himmel? Zweifellos. Ist das auf jeden Fall strafrechtlich relevant, also ungetreue Geschäftsbesorgung, vielleicht sogar Betrug? Und wenn ja, kann man das Stocker und Vincenz nachweisen?
Immerhin ein Gutes hat die Tatsache, dass in der irgendwann erfolgenden Anklageschrift kaum mehr etwas noch nicht Bekanntes stehen wird: Es ist sonnenklar, dass der Nachweis einer absichtlichen Schädigung sehr, sehr schwierig wird. Denn die Gutachten bestätigen, dass ein marktüblicher Preis bezahlt wurde. Damit wäre die Schädigung vom Tisch, damit die Straftat.
Viel interessanter wäre eigentlich, der Frage nachzugehen, wie es um die Ansprüche steht, die Vincenz noch gegenüber Raiffeisen hat. Viel interessanter wäre die Frage, wieso Anklage und Verhaftung 2018 zufällig im Zeitrahmen erfolgten, in dem Vincenz diese Ansprüche geltend machen konnte. Viel interessanter wäre hier der Betrag. Denn bei diesem Kauf sprechen wir von einer einstelligen Zahl im Millionenbereich. Bei den Forderungen von Vincenz von einer dreistelligen. Ebenfalls im Millionenbereich.
Aber dafür müsste man halt mal recherchieren, nicht einfach aus anonymer, aber sicher nicht unparteiischer Quelle zugeflatterte interne Dokumente ausschlachten. Wobei immer hektischer angefüttert wird, denn bald droht die Verjährung ...
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