Die Angst vor populistischen Politikern geht um. Die angeblichen Feinde der Demokratie sind womöglich deren Förderer.
Feindbilder bewirtschaften, polarisieren, Ängste schüren, demokratische Institutionen lächerlich machen, Radikallösungen propagieren, all dies findet sich im Werkzeugkoffer der Populisten. Sie sorgen damit für viel Aufmerksamkeit und für Wählerstimmen. Dies weckt Unmut und Angst bei den etablierten Mandatsträgern und Parteien.
Panik ist ein schlechter Ratgeber im Umgang mit Populisten, klüger ist die Analyse ihres Erfolgsrezeptes. Als Luther die Bibel ins Deutsche übersetzte, hielt er sich an das Prinzip: «Man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man deutsch reden soll, sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den einfachen Mann auf dem Markt danach fragen, und denselben auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach übersetzen; so verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.»
Dieses Vorgehen hat Parallelen zu Populisten, sie haben ein feines Sensorium für schwelende Themen in der Bevölkerung; sie kleiden sie in leicht verständliche Formulierungen und in griffige Parolen.
Immer wieder wird unterschätzt, dass Politik teilweise nach den gleichen Regeln wie die Marktwirtschaft funktioniert: Bei den Kunden/Wählenden findet Beachtung, wer sich auf plakative Weise Aufmerksamkeit verschafft; Marktanteile erobern jene, die ein interessanteres Angebot als die Mitbewerber anbieten; wer sich möglichst nahe an den Kundenwünschen orientiert, hat besonders gute Chancen im Markt.
Stellungnahmen von Mandatsträgerin sowie von Parteien orientieren sich längst nicht immer an den Regeln des Marketings. Gelegentlich sind sie bestenfalls für Politinsider verständlich formuliert, ihre Kernaussage wirken verschwommen und schwer fassbar oder sie schieben ständig anderen die Verantwortung zu.
Erfahrene Strategen analysieren einen Markt, bevor sie in ihn eindringen. In der jüngeren Schweizer Wirtschaftsgeschichte gibt es verschiedene Beispiele für Handelsketten, die durch Werbung viel Geld für den Markteintritt verbrannt haben und sich schliesslich gescheitert zurückzogen.
Was ist daraus für die Politik zu lernen? In einen bereits gesättigten Markt lässt sich kaum massiv und nachhaltig eindringen. Wenn Populisten Parteien massenhaft Stimmen abjagen, müssen sich deren Leitungen die Frage gefallen lassen, ob sie tatsächlich nahe genug an ihrer Wählerbasis politisieren.
Populisten können für den Politbetrieb wie eine Frischzellenkur wirken: sie knacken Tabus, packen heisse Eisen an, wirken der Mutlosigkeit entgegen, beleben den Diskurs und verkürzen zähe Debatten, drängen Mitbewerber zu einem geschärften Profil und zu neuen Lösungsvorschlägen und sie bremsen die Verfilzung.
Populisten sorgen dafür, dass der Graben zwischen der sogenannten classe politique und den Wählenden nicht zu gross wird. Dies ist ganz im Sinne der Regierung des Volkes, der Demokratie.
Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.
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