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«Libertäre Partei» als neue Stimme

Individuelle Freiheit trotz Corona-Notrecht

Während das freie Demonstrationsrecht nicht nur in Altdorf faktisch aufgehoben ist, betont die neue Libertäre Partei (ehemals «up!»), dass Individualfreiheit auch ausserhalb von Covid-Notrecht zentral ist. Dies könnte das bürgerliche Lager reformieren. Ein Gastbeitrag von Artur Terekhov.

Artur Terekhov am 11. April 2021

Wir leben gerade in bewegten Zeiten. Auf der einen Seite haben wir staatliche Behörden, die trotz sinkender IPS-Belegung und tiefer Mortalität stets immer und immer wieder ein neues Kaninchen aus dem Hut zaubern, um ihren Notrechtsexzess aufrechtzuerhalten. Dies mit teilweisem Sukkurs von Zero-Covid-Befürwortern wie dem Datenschutzanwalt Martin Steiger, der auf Twitter Ueli Maurer als Fall für die KESB bezeichnet sowie eine Anklage gegen den Bundesrat für zu wenig harte Massnahmen erwägt. Auf der anderen Seite gibt es Kräfte, die nahezu jede Innovation als Bedrohung wahrnehmen sowie vom Staat Schutz vor 5G, Pharma, CO2, Alkohol, Tabak oder Cannabis wünschen, dafür aber die KVG-Anerkennung von Alternativmedizin propagieren. Stets ist es aber der Staat, der Heilsbringer sein soll. Eigenverantwortung ist Mangelware.

Genau hier setzt nun die frühere Unabhängigkeitspartei up! an, die erst Mitte März ihren Auftritt grundlegend angepasst hat und neu unter dem Namen «Libertäre Partei» (LP) auftritt. Dass die LP gerade in Notrechtszeiten ihren Auftritt ändert, mag nicht reiner Zufall sein. Und gleichwohl ist es ein zentrales Credo der LP, dass nicht nur Covid und Pharma an allem Übel der Welt Schuld sind, sondern der Abbau persönlicher Freiheit auch ohne Notrecht (wenn auch – Gewaltenteilung sei Dank – weniger schnell) rasch genug voranschreitet, wenn man als Einzelner nicht wachsam bleibt. Genau auf jene angeborenen (Freiheits-)Rechte des Individuums fokussiert nun die neue Libertäre Partei, welcher auch der Autor dieser Zeilen angehört.

Wobei man sich die Frage stellen kann, ob es sich um eine «klassische» Partei handelt. Denn die Libertäre Partei kennt keine Mitgliederbeiträge und erstaunlich viele ihrer aktiven Exponenten sind zugleich Mitglieder von SVP oder FDP. Angelehnt ans US-Zweiparteiensystem könnte man auch von einem „Caucus» sprechen. Genauso wie Republikaner intern über militärnahe, evangelikale oder eben auch libertäre Ausschüsse verfügen, fordern die Supporter der Libertären von den etablierten bürgerlichen Parteien ein vermehrtes Anti-Establishment-Denken. Freiheit statt Vetterliwirtschaft halt.

Zugleich ist klar: Die Libertäre Partei muss keineswegs einem langfristigen Dasein als Splittergruppierung fristen. Zu gross dürften in den kommenden Jahren in den bürgerlichen Parteien SVP und FDP die internen Spannungen zwischen staatsgläubigen und freiheitlichen Kräften werden. Denn auch wer philosophisch nicht von minimalstaatlichen Idealen überzeugt ist, wird anerkennen müssen, dass die staatliche Altersvorsorge – Stichwort Demografie/Geburtenrückgang – ausgedient hat.

Der covid-notrechtsbedingte Schuldenberg wirkt hierfür als bester Brandbeschleuniger. Absehbar sind bereits aktuell tiefgreifende Umgestaltungen des bürgerlichen Politspektrums, nicht zuletzt wegen internen Spannungen um das «richtige» Mass an Corona-Restriktionen. Und auch wenn staatstragende Lösungen oder eine totale-Sicherheit-Gesellschaft aktuell im Trend sind: Der Unmut wächst und die Bevölkerungsschicht derer, die den Staat vermehrt aus ihrem Privatleben rausdrängen möchten, liegt sicherlich einiges über 10% der Schweizer Bevölkerung.

Als Beispiel möge eine Mailzuschrift eines parteilosen, praktizierenden Rechtsanwalts an den Autor dieser Zeilen dienen: «Je länger der Krieg gegen die Bevölkerung und gegen die einheimische Wirtschaft andauert, umso grösser – hoffe ich – wird das Lager der Freiheitsliebenden.» Denn zieht man aus der Covid-Notrechtszeit vernunftbasierte Schlüsse, folgt eine klare Rückbesinnung auf die Individualfreiheit. Dies wurde in den letzten Tagen gut ersichtlich, als aus linken Kreisen vor Verwaltungsgericht Zürich Beschwerde gegen das kantonale Demoverbot erhoben wurde. Auch Nicht-Wirtschaftsvertreter kritisieren also allmählich das Covid-Notrecht.

Dabei ist zugleich deutlich darauf hinzuweisen, dass libertäres Gedankengut zutiefst rechtsphilosophisch fundiert ist und nicht aus einer Tageslaune heraus erfolgt. Der klassische Liberalismus basiert nämlich allen voran auf den angeborenen – je nach Interpretation natur- oder gottgegebenen – Rechten Leib und Leben, Freiheit sowie Eigentum jedes Individuums. Diese sind im Sinne des Freiheitsparadoxons durch den Staat zu schützen (Gewaltmonopol), um allseitige Selbstjustiz zu vermeiden. Darüber hinaus hat der Staat bloss wenige Zusatzaufgaben, denn die Freiheit des Einzelnen bedingt auch das Recht, eigenverantwortlich über seine Rechtsgüter zu verfügen sowie ggf. Fehlentscheide zu tätigen. Während an Corona-Demos also auch viele Esoteriker mitlaufen, welche teils durchaus etatistische Tendenzen haben, verfolgen Libertäre den Grundsatz der Maximalfreiheit, die erst beim Dritten endet. Was auch ein Grundrecht auf Selbstschädigung bedingt.

Damit ist klar, dass libertäres Gedankengut mitnichten Sache alter weisser Männer ist oder primär bei Leuten auftritt, die ihr geerbtes Geld nie selber erarbeiten mussten, wie ein WOZ-Journalist im Vorfeld der NoBillag-Abstimmung schrieb. Der Autor dieser Zeilen stammt aus mittelständischem familiärem Umfeld. Eine Erbschaft hat er bislang noch nie erhalten. An Gymnasium und Universität gab es genug Leute mit privilegierterem Background, die es sich leisten konnten, pseudosozial zu sein und Umverteilung auf Kosten Dritter zu fordern.

Ebenso gibt es in der Familie des Autors überdurchschnittlich viele Staatsangestellte – was diesen keineswegs daran hinderte, (bewusst oder unbewusst) seinen eigenen Weg zu gehen und bereits neben dem Studium eine eigene selbständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Argumente, die primär auf Personen zielen, sind damit für die Diskussion um die Werte von Freiheit und Eigenverantwortung wenig förderlich. Vielmehr müsste die Gegenseite den Nachweis erbringen, was denn am freien Markt und dem Kapitalismus verwerflich sein sollte. Dürfen freie Menschen denn nicht gewinnstrebig denken und Verträge frei abschliessen?

Klar ist jedenfalls, dass der Liberalismus keineswegs Unmoral bedeutet. Im Gegenteil: Die Abwesenheit eines ausgebauten Sozialstaates führt oft zu mehr Moralität im Verhalten des Einzelnen. Dieser realisiert dann eher, dass er kaum mit freiwilliger Hilfe in Not rechnen kann (Kapitalismus schliesst Liebe und Beistand keineswegs aus!), wenn er Andere am Laufmeter verarscht. Jene Selbstregulierung ist weit effizienter als staatliche Umverteilung. Mögen sich diese Ideen erneut durchsetzen, auch dank der Libertären Partei.

Denn – so viel sei abschliessend angemerkt – bis auf die Frage der sozialen Absicherung sind sich Vertreter der äusseren Linken und Rechten oft einiger, als man prima facie denken würde (z.B. Digital Privacy, freies Demonstrationsrecht etc). Werden in diesem Bereich Berührungsängste abgebaut, bestätigt sich die Hufeisentheorie; fruchtbare Symbiose entsteht. Wenig überraschend wäre, wenn es sich zumindest teilweise um neue Allianzen handelte. Denn wenn es aktuell intern in jeder rechtsstaatlichen Partei brodelt, da Freiheit und Grundrechte notrechtsbedingt als verhandelbar angesehen werden, liegt eine klare geistige Sinnkrise vor. Das Gute aber ist: der Mensch ist fähig, Krisen als Chancen zu sehen. Nutzt man diese, eröffnen sich wiederum Perspektiven ausserhalb zentralstaatlicher Lösungsansätze. Und das ist dringend nötig.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Artur Terekhov

MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.

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