Heinz Keller, Gemeindepräsident von Kradolf-Schönenberg
Die «Weltwoche» beurteilt in ihrem Gemeinde-Rating alljährlich Schweizer Gemeinden mit mehr als 2000 Einwohnern. Beim Ranking 2019 wurden 928 Gemeinden beleuchtet. Kradolf-Schönenberg belegte den Rang 911 und wäre somit die unattraktivste Gemeinde in der Ostschweiz. Wie ist das zu werten?
Per Email fragen wir Heinz Keller an, ob er als Gemeindepräsident von Kradolf-Schönenberg bereit wäre, Stellung zur unschönen Platzierung zu nehmen. Als er sich daraufhin telefonisch mit uns in Verbindung setzt, meldet er sich mit «Hier ist Keller, Gemeindepräsident dieser unsäglichen Ortschaft».
Natürlich habe er vom Ranking Kenntnis. Natürlich sei er unglücklich über das schlechte Abschneiden. Aber, um eine genauere Analyse vornehmen zu können, möchte er sich gerne noch einmal kurz in die Auswertung vertiefen. Bevor er das tut, beweist der Gemeindepräsident aber nochmals Humor: «Wir verfolgen seit mehreren Jahren die Entwicklung in Bezug auf diese Rangierung. Wenn diese Resultate auch mit viel Vorsicht zu geniessen sind, gibt die Veröffentlichung auch immer wieder Anlass zum Schmunzeln.» Er müsse jedoch eingestehen, dass ihn dieses Resultat natürlich schon auch etwas «fuchst». «Vielleicht», so Keller weiter, «wäre es fürs Ego wohltuender, weiter vorne im Feld platziert zu sein.» Nun sei es aber so, wie es ist.
An Boden verloren
Wir stellen Heinz Keller den besagten «Weltwoche»-Artikel inklusive der dazu spärlich aufgeführten Informationen zu den genauen Ranking-Eckwerten zu. Besonders schlecht schnitt Kradolf-Schönenberg beispielsweise beim Kriterium «Wohnen» mit den Punkten Immobilienpreise, Wohnbautätigkeit und Leerwohnungsziffer ab. Dem gegenüber steht unter anderem eine positive Bewertung hinsichtlich des Sicherheitsstandards der Gemeinde. Und: Mit Blick auf die Vorjahre hat Kradolf-Schönenberg bei der Platzierung deutlich an Boden verloren.
Heinz Keller, Gemeindepräsident von Kradolf-Schönenberg
Nicht das reale Bild
«Bei genauerem Analysieren auf die Veränderungen zu den Vorjahren mit den Rängen 868, 864 und 844, stelle ich bei den beurteilten Faktoren sehr grosse Schwankungen fest», beginnt Heinz Keller seine Stellungnahme. Die starke Verschlechterung beim Punkt «Wohnen» führe er auf die enormen Preissteigerungen beim Bauland und den Immobilien zurück, die durch die Begrenzung der Baulandverfügbarkeit einen grossen Sprung gemacht hätten. Die Erhebung der Leerwohnungsziffer und deren Aussagekraft würden ausserdem immer wieder zu Diskussionen Anlass geben und würden auch nicht wirklich zum realen Bild in der Gemeinde passen. «Beim Arbeitsmarkt, der Sicherheit und der Versorgung konnten wir uns hingegen sogar verbessern, obwohl die Postfiliale geschlossen wurde und nicht wirklich viel Neues dazu gekommen ist… Wie sie sehen, ist die Aussagekraft mit Vorsicht zu geniessen», führt Keller aus.
Zuverlässiger Gradmesser
Kradolf-Schönenberg ist eine besondere Gemeinde, die aus den vier sehr unterschiedlich strukturierten Dörfern Neukirch, Schönenberg, Kradolf und Buhwil entstanden ist. Die Gemeinde weist, blickt man ein paar Jahre zurück, ein stetiges, aber ein gut verträgliches und stabiles Wachstum an Einwohnern von knapp einem Prozent auf. Gleichzeitig steigt die Steuerkraft pro Einwohner jährlich deutlich an, was für Heinz Keller ein sehr zuverlässiger Gradmesser der positiven Entwicklung ist. Er ist sich ausserdem sicher: «Der Gemeinderat Kradolf-Schönenberg geniesst ein sehr hohes Vertrauen in der Bevölkerung, das auf die zuverlässige Arbeit meiner beiden Vorgänger und deren Gemeinderats-Mitglieder basiert.» Der Gemeinderat in der heutigen Zusammensetzung arbeite daran, dies so fortzuführen.
Durchmischte Bevölkerung
Doch wie entwickelt sich die Gemeinde weiter? Wen zieht es nach Kradolf-Schönenberg? Welches eigene Bild hat man von sich? Hier räumt Keller ein, dass man nicht mit der grossen Kelle anrührt – nicht anrühren muss. Aber trotzdem: «In den vergangenen eineinhalb Jahren konnten Überbauungen mit rund 60 Eigentumswohnungen mit einem attraktiven Ausbaustandart mit dem raschen Verkauf aller Wohnungen abgeschlossen werden.» Die Bautätigkeit laufe zwar nicht übermässig – aber stetige Aktivität beobachte man wohlwollend. In Kürze werden rund 15 komplett erschlossene Einfamilienhausparzellen auf den Markt kommen. Keller: «Wir sind bestrebt, nach Möglichkeiten ein Angebot für eine gut durchmischte Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Junge Menschen, Familien als auch Best-Agers sollen bei uns gleichermassen Platz finden.» Dementsprechend seien auch verschiedenste Bauten erstellt und Parzellen entwickelt worden. Alles mit Fokus auf die Qualität und nicht auf die Quantität, wie der Gemeindepräsident betont.
Kradolf-Schönenberg
Und das Selbstbild? «Wir sind eine Landgemeinde mit einer Bevölkerung, die stolz ist Kradolfer, Schönenberger Neukircher oder Buhwiler zu sein – und das ist gut so», fügt Heinz Keller an. «Unzählige Vereine werden motiviert besucht, bieten attraktive Angebote und vor allem wichtige Jungendförderung an – stark unterstütz von der Gemeinde. Wenn es Feste der Vereine oder der Gemeinde gibt, werden diese Angebote genutzt, man hilft mit und geniesst gemeinsam.»
«Man will mitgestalten»
Bekanntheit über die Region hinaus geniesst die Gemeinde durch das Mammut-Flossrennen, ein Event, der die gesamte Bevölkerung motivieren und tausende Auswärtige anziehen würde. Für Keller ein Paradebeispiel für das Verständnis der Einwohnerinnen und Einwohner: «Die Menschen wohnen nicht nur bei uns in Kradolf-Schönenberg, sie leben hier, weil sie mitgestalten und mitwirken wollen.» Und wesentlich – gerade auch mit Blick auf das besagte Ranking sei noch ein ganz anderer Umstand, jener von Werten. «Wer sich bei uns öffnet und einbringt, der wird mit sehr vielem belohnt, was man nicht kaufen kann – entgegen dem Trend des einfach Konsumierens und des Rosinen-Pickens, der auf dem Papier und in den Studien toll aussieht aber letztlich nichts als Zahlen abbildet», ist Keller überzeugt.
Vieles ist bereits Realität
Der Gemeinderat werde folglich aufgrund des Rankings nicht in einen Aktionismus verfallen. Vielmehr seien der Dienst für die Bevölkerung und die generelle Standortattraktivität die zentralen Themen, denen man sich widme. Die Raumplanung für eine gute Entwicklung sei kurz vor der Genehmigung beim Kanton. Sie bilde die Grundlage für die nachhaltige Entwicklung der Gemeinde. Keller nennt in diesem Zusammenhang unter anderem auch die Unterstützung des örtlichen Gewerbes mit entsprechenden Ausbildungsplätzen, die Sicherstellen einer gut ausgebauten, optimal gewarteten und zuverlässigen Infrastruktur der Werke und familienfreundliche Angebote wie Mittagstisch, Tagesangebote und Frühförderung. Vieles sei bereits Realität, weiteres noch in Planung. «Ja, wir haben noch einiges vor uns, sind uns dessen bewusst und bereit, uns dafür einzusetzen», so Keller.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.