Was ist noch Humor und was schlechter Geschmack? In einer einstündigen, spritzigen Youtube-Sendung haben sich Slam Poet Renato Kaiser und Youtuber Jahn Graf mit Robin Rehmann über die Frage unterhalten, ob man über Behinderte und psychisch kranke Menschen Witze machen darf.
Komiker und Satirikerinnen dieser Tage haben es nicht leicht. Die Fettnäpfchen lauern überall; Shitstorms ebenso. Witze über Schwarze: Rassismus! Witze über Behinderte: geschmacklos! Witze über Schwule: homophob! Witze über Frauen: sexistisch! Wer keine Empörung ernten will, wandelt durch ein Minenfeld.
Der Goldacher Comedian Renato Kaiser unterhielt sich am Montagabend in einer Youtube-Sendung des «Mental Help Clubs» der Stiftung Pro Mente Sana mit «Rollstuhl-Youtuber» Jahn Graf und Fernseh- und Radiomoderator Robin Rehmann über die Frage, ob man über Behinderte Witze machen darf.
Die einstündige lockere Plauderrunde – Renato Kaiser lümmelte in Socken und einer Büchse Bier in der Hand auf einer Couch herum – brachte im Endeffekt eine wichtige Erkenntnis: Ja, man darf Witze über Randgruppen machen, auch wenn man nicht selbst betroffen ist. Er als privilegierter weisser, cis-hetero Schweizer Mann könne seinen Beruf ja sonst an den Nagel hängen, witzelte der Goldacher.
Aufhänger der Diskussion war Renato Kaisers SRF-Sendung «Tabu», in der der Comedian mit verschiedenen Gruppen von Menschen zusammenlebt, die gemeinhin als Randgruppe oder Schicksalsgemeinschaft wahrgenommen werden. Mit seiner liebevollen Art lernt er sie und ihre Geschichten näher kennen und verarbeitet seine Erlebnisse in einem Stand-up-Auftritt.
Die zahlreichen Wortmeldungen, die während der Sendung eintrafen, wie auch die live-Zuschaltungen unterstützten den Comedian auf der ganzen Linie. Eine Zuschauerin mit Depressionen meinte: Humor verbinde und Humor durchbreche die Stigmatisierung. «Es geht gar nicht ohne Humor.»
Doch gerade bei Menschen mit psychischer Belastung oder geistiger Behinderung zeigte Renato Kaiser eine vorsichtige Zurückhaltung, wenn es darum geht, Witze über sie zu machen. «Nimm mich!», forderte ihn der zugeschaltete Remo mit ADHS, Borderlinesyndrom und chronischen Schmerzen keck auf. Auch wenn es tatsächlich Menschen gebe, die grenzüberschreitende Witze über ihn machen würden, meinte er, so habe er die Fähigkeit behalten, über sich selbst lachen zu können.
Die schwierige Frage, wann ein Witz lustig und wann einfach nur daneben ist, war für alle nicht ganz einfach zu beantworten. Wichtig sei, meinte Renato Kaiser, dass man sich mit der Thematik ernsthaft auseinandergesetzt habe. «Der Inhalt ist das Wichtigste», sagte er und ortete ein Problem bei Comedians, die «alte und megaschlechte» Witze bringen. «Sie witzeln nicht über das Thema an sich, sondern darüber, was man heute alles nicht mehr sagen dürfe. Die sind einfach faul», urteilte Renato Kaiser.
Jahn Graf in seiner erfrischenden Art meinte gar: «Keine Witze über Menschen mit Behinderung zu machen, ist ja auch ausgrenzend!» Zur allgemeinen Belustigung nannte er sich selbst «neurodivers» und selbst Moderator Robin Rehmann war am Ende der gut einstündigen Sendung der Meinung, dass die neue «Tabu»-Staffel unbedingt auch mit psychisch Kranken Menschen realisiert werden sollte.
Dass Witze über Behinderte nicht alle lustig finden, leuchtet auch Renato Kaiser ein: «Humor ist nur ein Weg». Aber: Wirklich provokativ findet er, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der – gute – Witze nicht einfach ganz normal sind.
Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).
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