Autor/in
Stefan Millius
Stefan Millius (*1972) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz». Seine Stationen führten über das «Neue Wiler Tagblatt», Radio aktuell, die ehemalige Tageszeitung «Die Ostschweiz» zum «Blick».
Stefan Millius (*1972) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz». Seine Stationen führten über das «Neue Wiler Tagblatt», Radio aktuell, die ehemalige Tageszeitung «Die Ostschweiz» zum «Blick».
Sie haben Angst vor Corona? Dann putzen Sie sich einfach die Zähne. Aber natürlich mit dem richtigen Produkt. Und schon verschwindet das böse Virus. Corona setzt Kreativität frei - vor allem im Produktemarketing.
Symbolbild.
Zähne werden schon recht lange geputzt in der Geschichte der Menschheit. Daraus ist ein riesiger Markt entstanden. Entsprechend müssen sich die Marketingleute von Zahnpastafirmen immer wieder etwas Neues einfallen lassen, um aufzufallen. Aber bitte sehr, die Steilvorlage wurde in diesem Jahr ja geliefert. Und deshalb erreicht uns eine Pressemitteilung mit folgendem Titel:
«Labortests von Colgate zeigen: Zahnpasta und Mundspülung neutralisieren 99,9 Prozent des Virus, das COVID-19 auslöst»
Hosianna, da scheint die Lösung des Problems ja in Griffnähe. Beziehungsweise im Mund. Denn wie wir weiter erfahren:
«Klinisches Forschungsprogramm zur Validierung des Potenzials von Mundgesundheitsprodukten zur Verlangsamung der Virusausbreitung ist in vollem Gang.»
Also was jetzt, wird das Virus neutralisiert oder nur verlangsamt? Wird es allenfalls noch konkreter? Nein, leider nicht. Es wird etwas relativer:
«Die Produkte verlangsamen möglicherweise die Übertragung des COVID-19-Virus.»
Gut, zuerst wird neutralisiert, dann verlangsamt, dann möglicherweise verlangsamt, aber nicht das Virus in mir, sondern die Übertragung. Aber man muss ja mit wenig zufrieden sein heute. Lesen wir also weiter, vielleicht wird das Bild ja noch deutlicher:
«Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass einige Zahnpasten und Mundspülungen dazu beitragen können, die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2, das COVID-19 auslöst, zu reduzieren, indem sie vorübergehend die Menge von Erregern im Mund vermindern. Das Virus verbreitet sich durch Atemtröpfchen oder kleine Partikel, die entstehen, wenn eine infizierte Person hustet, niest, singt, spricht oder atmet, so die US-Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention.»
Also kann ich mir das Virus, das ich mir eingefangen habe, nicht gewissermassen wegputzen, aber immerhin bin ich eine kleinere Gefahr für andere, wenn ich mir mit Colgate die Beisser schrubbe und dann meiner Umgebung ins Gesicht huste? Irgendwie doch enttäuschend. Aber vielleicht kommts ja noch besser. Denn, wir zitieren Dr. Maria Ryan, Leitende Klinische Direktorin von Colgate:
«Unsere klinischen Untersuchungen befinden sich noch im Anfangsstadium, aber unsere vorläufigen Labor- und klinischen Ergebnisse sind sehr vielversprechend.»
Ach so. Noch am Anfang. Aber man kann ja bereits mal darüber sprechen, damit möglichst viele Leute ihren Lieben eine Mundspülung unter den Weihnachtsbaum leben. Aber Moment, es wird noch besser:
«Das Zähneputzen und das Verwenden von Mundspülungen sind zwar keine Therapie oder ein Weg, ein Individuum vollständig vor einer Infektion zu schützen, aber sie könnten dabei helfen, die Übertragung des Virus zu reduzieren und die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, die Vorteile unterstützend, die wir vom Tragen von Masken, sozialer Distanzierung und regelmässigem Händewaschen erlangen.»
Also, ich trage eine Maske, ich halte Distanz, ich wasche mir die Hände UND ich putze die Zähne mit Colgate, und dann wird allenfalls möglicherweise vielleicht irgendetwas noch zusätzlich «verlangsamt». Klingt schlüssig. Mein Leben ist mit einem Mal einfacher geworden. Ich nehme alle bereits eingeführten Einschränkungen auf mich und muss obendrauf noch Colgate kaufen - das klingt nach einem echten Deal!
So richtig offengelegt werden die Erkenntnisse zur begleitenden Studie am Albert-Einstein-Institut in São Paulo, Brasilien, übrigens Anfang Dezember. Die Untersuchung wird von Colgate gesponsert. Es wäre eine echte Überraschung, wenn die Brasilianer zu einem anderen Schluss kommen würden.
Aber parallel dazu arbeiten auch noch andere Institute an der bahnbrechenden Entdeckung. In allen Fällen arbeitet «Colgate mit zahlreichen Forschern auf der ganzen Welt zusammen, um klinische Forschungsarbeit zu betreiben und das Potenzial von Mundpflegeprodukten zur Reduzierung von Virusmengen im Mund als Risikominderungsstrategie zu untersuchen.»
Das nennt man totale Unabhängigkeit. Wir sind wirklich gespannt auf die Resultate.
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