Die Politik müsse wieder der Wirtschaft gegenüber das Primat übernehme, heisst es immer wieder. Diese Forderung sollte man nicht unbesehen unterstützen.
Der digitale Wandel pflügt die Gesellschaft und vor allem die Wirtschaft um. In der Folge prägen globale Giganten wie Apple, Microsoft, Amazon, Uber, Airbnb regional und international die Marktbedingungen. Dumpingpreise eines mächtigen Konzerns können Zwischenhändler und Zulieferer in der Ostschweiz das Fürchten lehren.
Naheliegenderweise wollen verschiedene Politikerinnen und Politiker nicht hinnehmen, dass die Konzerne alleine die Spielregeln diktieren. So werde letztlich der Wettbewerb ausgehebelt, heisst eines der Argumente. Nur Mitbewerber mit gleichlangen Spiessen würden garantieren, dass der Markt spiele. Die Politik müsse wieder das Sagen haben. Doch ist dieses Rezept tatsächlich die richtige Lösung?
Dass auch die Politik letztlich ein Wettbewerb ist, wird dabei ausgeblendet. Die unterschiedlichen Anliegen der Wählenden sind die Richtschnur. Im Gegensatz dazu sind die Interessen von Anlegern in erster Linie steigende Aktienkurse sowie üppige Dividendenausschüttungen.
Wählerinnen und Wähler haben sehr viel breitgefächerte Interessen, sie fordern unter anderem den Schutz der einheimischen Landwirtschaft und Wirtschaft durch Erhöhung der Einfuhrzölle, mehr Ganztagesschulen, verbesserte Sozialleistungen, mehr Förderbeiträge für Minderheiten und Randregionen, vermehrte Subventionen für den öffentlichen Verkehr, ein Anstieg der Kulturfördermittel und vieles mehr.
Genau hier ist der Kollisionspunkt der Wirtschaft und der Politik: Für ihren dauerhaften Erfolg wollen KMUs und Konzerne möglichst günstige Rahmenbedingungen. Die Wählenden ihrerseits wollen die Befriedigung ihrer Interessen durchsetzen, die zum Teil den Interessen der Firmen zuwider laufen.
Wer als Politikerin den Wählerinnen und Wählern vorgaukelt, mit extremen Volksinitiativen, Parlamentsanträgen und Wahlkampfparolen könne man das ökologische Verhalten, die Standortwahl sowie die Lohnpolitik der Konzerne dirigieren, handelt wenig seriös. Rein aus ihrem Auftrag werden sich Unternehmen stets an der Qualität der Rahmenbedingungen orientieren. Werden diese zu ungünstig, wird der Standort verlagert. Dies ist keine Erpressungen der Wählenden, sondern eine Überlebensnotwendigkeit.
Daraus den Schluss zu ziehen, gezwungenermassen müssten sich die Parlamente und die Behörden in ihren Entscheiden nach den Wünschen der Konzern richten, ist zu kurz gedacht. Kluge Politikerinnen und Politiker werden mit Verhandlungsgeschick die Wählerinnen und Wähler sowie die Konzernleitungen auf die beiderseitigen Interessen aufmerksam machen und einen Konsens suchen.
Kein Konzern kann sich auf Dauer ein Image als raffinierter Steuerumgeher, unsozialer Arbeitgeber und verantwortungsloser Umweltsünder leisten. Die auf Nachhaltigkeit setzenden Aktionäre, die Gewerkschaften, die Umweltverbände sowie die Medien werden das Fehlverhalten anprangern; dafür gibt es ausreichend Beispiele. Auch ein gutes Renommee zählt zu den Standortvorteilen, etwa bei der Anwerbung von neuem Personal.
Im Gegenzug müssen die Politikerinnen und Politikern den Wählenden aufzeigen, welche Forderungen realistisch, und welche Luftschlösser sind. Wer ihnen vormacht, Politik sei ein Wunschkonzert gegenüber der Wirtschaft, sichert sich einige Wählerstimmen, nachhaltige Regionalpolitik macht diese Person nicht.
Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.
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