Bei der Härtefallklausel bei Landesverweisungen wird immer mehr die Ausnahme zur Regel. Damit wird der Wille des Volks missachtet.
Das Bundesamt für Statistik ist über die eigenen Zahlen gestolpert. Während es zunächst hiess, 46 Prozent der obligatorischen Landesverweisungen würden wegen der Härtefallklausel nicht ausgesprochen, wurde diese Zahl zwei Tage später auf 31 Prozent reduziert. Das ist peinlich für ein Bundesamt, das finanziell und personell ziemlich gut dotiert ist. Etwas mehr Sorgfalt wäre wünschenswert.
Die Zahlendiskussion lenkt aber ab vom wahren Kern des Problems. Ob es nun 46 oder 31 Prozent sind, die dank der Härtefallklausel einer Landesverweisung entgehen, ist nicht entscheidend. Eine «pfefferscharfe» Umsetzung der Ausschaffungsinitiative, wie sie dem Volk versprochen wurde, sieht anders aus.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin nicht gegen die Härtefallklausel. Sie ermöglicht es, dem Einzelfall angemessen und differenziert, eben verhältnismässig zu entscheiden. Es gibt schwere Härtefälle, bei denen ein Ausschaffungsautomatismus fehl am Platz wäre. Jedoch: Wenn eine Ausnahmeklausel für schwere persönliche Härtefälle derart oft angewandt wird, wird der Wille des Gesetzgebers missachtet.
Schwere persönliche Härtefälle gibt es, aber nicht in 46 oder 31, sondern höchstens in 5 bis 10 Prozent aller Fälle. Nicht jeder Härtefall ist ein schwerer Härtefall! Und selbst schwere Härtefälle dürfen bei Kapitalverbrechern (Mörder, Vergewaltiger etc.), die zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt werden, nicht höher gewichtet werden als die öffentlichen Interessen an der Wegweisung.
Ein Punkt geht regelmässig vergessen: Die Landesverweisung greift bei allen kriminellen Ausländern, unabhängig davon, ob sie in der Schweiz wohnen oder nicht. Bei Ausländern ohne Aufenthaltsrecht ist aber ein Härtefall kaum denkbar. Sie missbrauchen unser Gastrecht aufs Gröbste, vernünftige Gründe für ihren weiteren Verbleib in der Schweiz sind nicht ersichtlich. Aber auch sie sind in der Statistik enthalten, und sie machen rund die Hälfte der kriminellen Ausländer aus. Die 46 beziehungsweise 31 Prozent Härtefälle entfallen folglich auf die andere Hälfte, auf die Ausländer mit Aufenthaltsrecht. Bei ihnen dürfte die Härtefallklausel somit noch weitaus häufiger angewandt werden, mutmasslich in gegen 60 Prozent der Fälle. Die Ausnahme wird damit – entgegen dem Gesetzeswortlaut – zur Regel.
Ausländer sind eine Bereicherung für die Schweiz. Nicht aber kriminelle (immerhin 58 Prozent aller Straftäter). Nur wenige Länder gehen mit ihnen derart behutsam und gutmütig um wie wir. Viele Schweizer verstehen das nicht, und viele hier lebende Ausländer noch weniger.
Deshalb hat das Schweizer Volk entschieden: Kriminelle Ausländer sind im Regelfall des Landes zu verweisen. So steht es in Verfassung und Gesetz. Es ist Aufgabe der Justiz, den Volkswillen zu respektieren und umzusetzen. Und nicht, ihn auszuhebeln, indem die Ausnahme zur Regel wird.
Die gegenwärtige Praxis ist noch immer zu large. Sie muss nicht «pfefferscharf» sein. Aber konsequenter. Damit wäre viel gewonnen, vor allem Vertrauen im Volk.
Pascal Schmid (*1976) ist Thurgauer Nationalrat (SVP) und als Rechtsanwalt bei Muri Partner Rechtsanwälte AG in Weinfelden tätig. Von 2009 bis 2021 war er Präsident des Bezirksgerichts Weinfelden. Er wohnt in Weinfelden.
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