Noch haben wir keinen blassen Schimmer, ob und wann Ex-Raiffeisen-CEO Pierin Vincenz vor Gericht erscheinen muss. Je länger es dauert, desto mehr unterträgliche «Storys» rund um ihn müssen wir wohl ertragen. Also: Hoffentlich geht es schnell.
Lukas Hässig, preisgekrönter Journalist des beliebten Finanzportals «Inside Paradeplatz» hat alles Recht der Welt, über Pierin Vincenz zu schreiben. Immerhin hat er mit seinen Recherchen die ganze Affäre um den früheren Raiffeisen-Chef losgetreten. Das ist, egal wie die Sache ausgeht, sein Verdienst.
Das Problem ist nur: Seit es losging, ist die Staatsanwaltschaft an der Arbeit, und der kann man vieles vorwerfen, aber kaum, dass sie zu schnell arbeitet. Sprich: Im Fall Vincenz gibt es seit Monaten nichts wirklich Handfestes zu berichten, aber die Sache ist zu verführerisch, um sie einfach im Stillen liegenzulassen. Deshalb braucht es die Story neben der Story. Wenn wir schon nicht wissen, ob der charismatische Ex-Spitzenbanker Dreck am Stecken hat, müssen wir uns deshalb mit der Frage begnügen, was er so in seiner Freizeit macht.
Und deshalb berichtet «Inside Paradeplatz» nun mit schlecht verhohlenem Entsetzen, dass der Mann einfach so rumläuft und lebt. Unschuldsvermutung hin, nach wie vor fehlende Anklage her: Das geht doch nicht.
Entsprechend dramatisch wird der jüngste Artikel über Vincenz eingeführt. Das klingt dann so: «An Allerheiligen taucht ein Mann aus der Vergangenheit auf. Pierin Vincenz heisst er, gefallener Raiffeisen-Held, gejagt von Häschern, geplagt von Medien. Tempi Passati. Vincenz haut wieder auf den Putz. Vor Wochenfrist zeigte er sich an der St.Galler Olma. Das ist die grosse Herbst-Messe der Ostschweizer Kapitale.»
Wir wissen, dass die Zürcher von der Olma wenig Ahnung haben. Wie man aber am 1. November aufgeregt berichten kann, «vor Wochenfrist» sei Vincenz an der Olma gewesen, die besagte Olma aber bereits am 20. Oktober ihre Tore geschlossen hat, ist eine andere Frage. Google hätte da sicherlich weitergeholfen.
Laut «Inside Paradeplatz» liessen es Pierin Vincenz und sein guter Freund, der St.Galler Gastronom Köbi Nett, vor Wochenfrist an der Olma 2019 «krachen». Ja, genau, an der Olma, die vor zwei Wochen den Laden dicht machte. Vielleicht reicht es schon, dass Netts Lokal direkt beim Gelände der Olma liegt. Denn die Olma ist ja irgendwie immer.
Übrigens ist Vincenz vermutlich nicht zu Fuss zur Olma (die da bereits nicht mehr stattfand, sorry) spaziert, sondern mit einem Auto hingefahren. Grund genug, darauf hinzuweisen, dass er schon zu Raiffeisen-Zeiten in einem «Spezial-Mercedes» herumgefahren war. Ein Auto, das «nicht zu den günstigsten» gehöre, wie das Finanzportal schreibt. Nun findet sich zwar in keinem Autokonfigurator der Welt ein «Spezial-Mercedes», aber der Vorwurf ist natürlich schon berechtigt. Sämtliche anderen Bank-CEO der Schweiz schwören auf einen VW Polo oder, für das richtige Statement, einen Dacia mit Minimalausstattung, Vincenz hingegen fuhr einen «Spezial-Mercedes». Das sagt eigentlich schon alles.
Fassen wir zusammen. Ein Mann, der einst ziemlich erfolgreich die drittgrösste Bankengruppe der Schweiz führte, war in einem schönen Auto unterwegs und trifft sich auf einen feuchtfröhlichen Abend mit einem alten Freund in der Nähe der Olma. Und das, obwohl möglicherweise irgendwann eine Anklage gegen ihn erhoben wird, deren Ausgang noch ungewiss ist.
Wirklich unerhört.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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