Eingeschränkte Besuche, abgesagte Unternehmungen, mögliche Isolationsbeschränkungen: Insbesondere die älteren Menschen in Alters- und Pflegeheimen leiden unter der Corona-Situation. Doch wie schlimm ist die Lage in der Ostschweiz wirklich?
Isoliert, gelangweilt, depressiv und verängstigt: Die Gefühlslage der älteren Menschen in Alters- und Pflegeheimen sei besorgniserregend, ist in regelmässigen Abständen den Medien zu entnehmen. Sie leiden darunter, dass Besuche teilweise ganz gestrichen werden, dass Unternehmungen wegfallen und ein Kontrastprogramm meist gänzlich fehlt. Man fühle sich eingesperrt wie in Gefängnissen, komme sich einsam und verlassen vor, so der häufige Tenor. Doch wie gross sind die psychischen Belastungen wirklich, die die Bewohner ertragen müssen? Massnahmen, damit sie gesund bleiben, sind das Eine. Die daraus resultierenden Folgen für das allgemeine Wohlbefinden das Andere.
Was passiert mit den Menschen, wenn sie weniger – oder gar keinen – Besuch mehr empfangen dürfen? Wie ist es für sie, plötzlich noch viel mehr Zeit zu haben, als es ohnehin schon der Fall ist – aufgrund dessen, dass Ausflüge oder sonstige Aktivitäten gestrichen werden müssen? Und wie gehen sie damit um, dass sämtliches Personal sie sprichwörtlich mit Handschuhen anfasst? Eine kleine Umfrage in Ostschweizer Alters- und Pflegeheimen zeigt: Die Handhabung mit den Massnahmen auf die jetzige Situation ist riesig. Von strikten Schutzmassnahmen und völligem Lockdown bis hin zu relativ lockeren Anweisungen ist alles mit dabei. Der Eindruck, der erweckt wird: Während bei den Einen das Coronavirus als eine Art Damoklesschwert über der Einrichtung schwebt, gehen die Anderen relativ nüchtern an die Sache heran. Schützen wollen die Bewohner natürlich alle. Aber die Frage nach dem «Wie» und vor allem «Wie viel» ist in dieser Hinsicht eine anscheinend berechtigte Frage, die sich die Beteiligten stellen müssen und auch sollen.
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Mehrere positive Covid-19-Fälle bei den Bewohnern, darunter zwei Todesfälle, hatte das Alterszentrum Churfirsten in Nesslau zu beklagen. Beim Personal gab es vereinzelt Fälle, welche in Quarantäne mussten. Mittlerweile seien die Angestellten jedoch wieder wohlauf, wie die Geschäftsleiterin Gabriella Wiss erklärt. Doch was heute gelte, könnte morgen bereits wieder veraltet sein. «Man muss von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag schauen und die Massnahmen zielorientiert anpassen», fasst sie es zusammen.
Derzeit hätte man situationsbedingt einen totalen Lockdown. Will heissen: Die Bewohner erhalten fast alle Zimmerservice und verlassen ihr Zimmer nur selten. Dies widerspiegle sich auch in der gedrückten Stimmung. «Doch andererseits spüren wir auch Dankbarkeit seitens der Angehörigen und Bewohner, dass wir die Herausforderung meistern», sagt Wiss weiter. Als sehr essenziell stuft sie die regelmässigen Informationen ein, welche das Vertrauensgefühl in die Geschäfts- und Pflegeleitung verstärken würden. Wiss: «Genauso wichtig ist eine offene und transparente Informationspolitik bei Mitarbeitenden, damit sie die Situation verstehen, sich eingebunden fühlen und wir alle gemeinsam die Herausforderung meistern können.»
Der Lockdown und die Ausfälle beim Personal machen sich auch bei den Aktivitäten bemerkbar. Eine Abwechslung im Alltag fehlt den Bewohnern derzeit. Trotzdem versuche man mit Hilfe des Zivilschutzes und des Kantonspersonals, Abhilfe zu verschaffen – um die Bedürfnisse der Bewohner immerhin zu einem kleinen Teil abdecken zu können. Einen Austausch zwischen den Bewohnern und den Angehörigen wieder ermöglichen zu können, davon ist man in der aktuellen Situation jedoch weit entfernt. «Solange die Situation so akut ist, ist das keine Option», sagt Wiss. «Wir werden jedoch sobald als möglich wieder für alle tragbare Lösungen suchen.» Diese müssten jedoch zuerst geprüft werden, spruchreif sei demnach noch nichts.
Ganz anders sieht die Situation in Herisau aus. Bei der ersten Welle im Frühling habe man drei positive Covid-19-Fälle bei den Bewohnern festgestellt. Jetzt im Herbst sei man bisher verschont geblieben – bis auf einzelne Mitarbeiter. Diese seien umgehend isoliert worden. «Wir haben Respekt vor dem Virus», fasst es Max Nadig, Geschäftsführer Stiftung Altersbetreuung Herisau, zusammen. «Aber wir müssen irgendwie damit umgehen können.» Seit dem Frühling sind die Massnahmen gleich geblieben: Bei der Eingangskontrolle muss ein Fragebogen ausgefüllt werden, die Besucher tragen hauseigene Masken, die Mitarbeiter ebenfalls, auch an Sitzungen und Besprechungen. Bei den Speiseräumen müssen die Abstände eingehalten werden.
Alle Aktivitäten werden durchgeführt, wenn auch im angepassten Rahmen: Kochen, Basteln und Gottesdienste. «Wir merken umso mehr, wie wichtig Besuche und die Aktivitäten für unsere Bewohner sind», so Nadig weiter. Es gäbe in regelmässigen Abständen Bewohner, die unter Symptomen leiden würden und sich umgehend in Isolation begeben müssten. «Die Zeit, in der das Resultat ermittelt wird und sie abgegrenzt werden müssen, ist jeweils sehr schwierig für sie. Das merken wir sehr stark», sagt Nadig.
Bei den besagten drei Fällen im Frühling mit schweren Verläufen habe sich gezeigt: Die Bewohner wollen nicht ins Spital für eine weitere Behandlung. In Herisau können sie beatmet, wenn auch nicht intubiert werden. Mittlerweile geht es ihnen wieder gut. Doch die Situation zeige deutlich auf, wie wichtig der soziale Aspekt für die Menschen ist. Gar erweckt es von aussen den Eindruck, dass die Angst vor sozialer Isolation stärker ist als diejenige vor dem Virus.
Eine gute Stimmung innerhalb des Alters- und Pflegeheims Risi verzeichnet auch Heimleiter Georg Raguth. In Wattwil ist es weiterhin möglich, Besuch zu empfangen – nach entsprechender Anmeldung. Dann wird erst einmal Fieber gemessen. Vor einem Monat habe man bei den Bewohnern dennoch positive Covid-19-Fälle registrieren müssen, so Raguth weiter. «Diese waren jedoch problemlos.» Die Mitarbeiter tragen stets eine Maske, und man habe das Infektionsgeschehen gut im Griff. «Wir schützen die Bewohner vor Infektionen von aussen – innerhalb der Gruppe können sie sich jedoch frei bewegen.»
Schärfere Massnahmen gibt es im Kanton Appenzell Innerrhoden. Krankheitsfälle gibt es in beiden Altersinstitutionen des Gesundheitszentrums Appenzell, also im Bürgerheim und im Alters- und Pflegezentrum APZ. «Fürs Bürgerheim und die im APZ betroffene Abteilung (1 von 3) musste ein Besuchsverbot ausgesprochen werden», sagt Markus Bittmann, Vorsitzender der Geschäftsleitung, Kantonales Spital und Pflegezentrum Appenzell. Damit es den Bewohnern jedoch nicht an Beschäftigung mangle, engagieren sich die Mitarbeiter und entwickeln neue Programme. «Unsere Mitarbeitenden begleiten und betreuen die Bewohner eng und gut und mit höchstem Engagement», so Bittmann weiter. «Stimmungsschwankungen können so frühzeitig und professionell aufgefangen werden.»
Damit der Austausch mit den Angehörigen dennoch statt finden kann, wurden neue Lösungsansätze gesucht. Und auch gefunden. Bereits im Frühjahr war es möglich, per Skype Gespräche zu führen. Bei der Techniknutzung werden die Bewohner von den Pflegeteams unterstützt. Bittmann: «Zudem stehen die Leitungspersonen beider Häuser im engen Austausch mit den Angehörigen und es gibt auf unserer Website einen Passwort geschützten Bereich für die Angehörigen, in dem immer wieder Aktualitäten und Infos niederschwellig zugänglich gemacht werden.» Der Patienten- und Datenschutz werde stets eingehalten. Ausserdem dient das Restaurant, welches derzeit für externe Gäste geschlossen ist, als Begegnungsmöglichkeit für die Bewohner und ihre Angehörige.
Besucher zu empfangen sowie Aktivitäten sind auch im Alterszentrum Park, AZP, in Frauenfeld möglich. Wenn auch nicht überall, wie Cornelia Trefzer, Leiterin Kommunikation, erklärt. Das Alterszentrum Park sei gemäss Entscheid des Departements für Finanzen und Soziales, DFS, verpflichtet, aus dem Spital Patienten zu übernehmen, wenn diese keine akutmedizinische Behandlung mehr brauchen – selbst, wenn diese positiv getestet wurden. «Dies war Mitte November bei einem nach einem mehrtägigen Spitalaufenthalt positiv getesteten Bewohner der Fall», sagt Trefzer weiter. Dem Bewohner gehe es aktuell gut, er sei in Isolation. Die vorsorgliche Quarantäne für die ganze Wohngruppe dauert voraussichtlich bis am 25. November. Es sei wichtig, auch in diesen aussergewöhnlichen Zeiten den Alltag für die Bewohner so normal wie möglich zu gestalten. Weil man eben nach wie vor nicht weiss, wie lange diese «aussergewöhnlichen Zeiten» noch andauern werden. Und der normale Alltag dann der letzte Strohhalm ist, der noch zu fassen ist.
Manuela Bruhin (*1984) aus Waldkirch ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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