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Offener Brief

Lieber Bundesrat, hier noch ein paar gut gemeinte Ratschläge

Der Bundesrat wird am Mittwoch verkünden, wie er in der Coronasituation weiter verfahren will. Bereits kursieren die wildesten Gerüchte darüber, was uns erwartet. Es nützt zwar nichts, aber wir wollen die Chance doch packen und dem Bundesrat einige Tipps auf den Weg geben.

Stefan Millius am 27. Oktober 2020

Lieber Bundesrat

Ich hoffe, es ist okay, wenn ich Dich duze. Du bist ja ein Gremium, und erst noch eines, das rein technisch unter mir steht, deshalb scheint mir das angemessen.

Zunächst: Ich würde Deinen Job nicht wollen. Ich meine, Du verdienst ja nicht einmal besonders gut, jedenfalls nicht im Vergleich zu Spitzenpositionen in der freien Wirtschaft. Und dann permanent angepinkelt werden: Nein, das müsste ich nicht haben. Gut, das werde ich derzeit auch gerne, aber immerhin für eine gute Sache (das war jetzt ein sehr diplomatischer Anwurf).

Aber nun konkret. Für Mittwoch hast Du wieder so etwas wie eine öffentliche Audienz angesagt. Quasi das Schweizer Papsttum im Livestream. Du willst uns verkünden, welche weiteren Einschränkungen Du Deinem Volk (Deinem Arbeitgeber übrigens) auferlegen willst. Das etwa 1,5 Wochen (glaube ich, ich habe die Übersicht verloren), nachdem Du uns zur Maskenpflicht in Läden verdonnert hast, unter anderem. Ich weiss nicht genau, was Du geglaubt hast, dass in rund zehn Tagen passiert, aber offenbar war es Dir zu wenig. Weil die «Fallzahlen» steigen. Ich würde jetzt gerne mit Dir ein bisschen über Fallzahlen philosophieren, aber seien wir ehrlich, das ist nicht nötig. Denn dumm bist Du nicht. Du weisst genau, dass sie keinerlei Relevanz haben.

Weitere Einschränkungen? Seltsam. Dabei sind Deine Schäfchen doch wirklich brav, die nutzen die Maske derzeit mehr als ihr Deodorant, wie ich jeden Tag wieder feststelle. Und dennoch fühlst Du Dich offenbar bemüssigt, in vorweihnachtlicher Manier die Rute schon nach kurzer Vorwarnung ein bisschen härter zu schwingen. Ich weiss nicht genau, warum ich immer an meinen alten Schulhausabwart vor 40 Jahren denke, wenn ich über Dich spreche, lieber Bundesrat. Irgendwelche Parallelen muss es da geben. Aber gut, ich will den Mann nicht beleidigen, Gott habe ihn selig.

Jedenfalls: Ich weiss, dass Du nicht auf mich hörst, aber hier dennoch ein gutgemeinter Rat. Mach nichts am Mittwoch. Gut, irgendwas musst Du tun, nachdem Du die Medien eingeladen hast, aber Du kannst auch allen einfach eine gute Woche wünschen und Biberli verteilen und sonst gar nichts sagen. Das wäre sehr intelligent von Dir.

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Denn eines ist jetzt schon klar. Das, was Dich heute bereits stört, der zunehmende Unwille eines Teils der Bevölkerung, Deinen Auflagen Folge zu leisten, wird exponentiell (das Wort magst Du doch) zunehmen, wenn Du jetzt die Schraube weiter andrehst. Nehmen wir den lustigen Vorschlag der Maske unter freiem Himmel: Wenn Du das machst, wird es richtig bunt. Denn dann werden plötzlich auch Leute, die bisher staatstreu bis ins Knochenmark waren, einige Gedanken anstellen. Sogar Leute, die sich das eigene Denken bisher selbst verboten haben, werden dann merken, dass etwas faul ist im Staate Dänemark, pardon, Helvetia. Du wirst Deine bisherige «Fanbase» verunsichern. Du wirst das Gegenteil von dem erreichen, was Du wolltest.

Mir solls recht sein, aber da ich ein guter Mensch bin, möchte ich Dich darauf aufmerksam machen.

Oder darfs allenfalls irgendeine Variante des Lockdowns sein? Du weisst schon, das ist diese Massnahme, die weite Teile der Wirtschaft unwiderruflich schädigt und zudem das soziale und kulturelle Leben im Land ruiniert und Menschen einsam macht. Kann man machen, klar. Muss man aus Deiner Sicht vielleicht sogar machen, da ja die Spitäler so hoffnungslos überrannt sind und die Krematorien im Land heiss laufen. Jedenfalls haben das Deine Erfüllungsgehilfen, die grossen Verlagshäuser, erfolgreich so übermittelt. Ja, mach das mit dem Lockdown doch. Denn die meisten Deiner Mitglieder, lieber Bundesrat, sind vermutlich nicht mehr im Amt, wenn wir die Folgen später so richtig ausbaden. Nach mir die Sintflut beziehungsweise die Konkurswelle: Das mögen Politiker.

Ich glaube, dass sich Deine Scharade, die nun doch einige Monate angehalten hat, dem Ende nähert. Immer mehr Leute kapieren, dass das, was uns auferlegt wird, mit der tatsächlichen Gefahr in keinem Verhältnis steht. Die Panikkampagne war erfolgreich, an dieser Stelle ein aufrichtiges Lob an Deine Marketingleute (von denen es ja wirklich sehr viele gibt). Aber irgendwann nützt es sich ab.

Und weil ich selbst doch die eine oder andere Marketingerfahrung habe, hier mein ernstgemeinter Tipp, aus vollem Herzen: Überrasch uns am Mittwoch. Erwische uns auf dem linken Fuss. Stell Dich hin und sag: «Okay, das bringt alles nichts, viel wichtiger ist, dass wir als Nation gesund im Geist bleiben, wir hören mit sämtlichen Massnahmen auf, wir stellen die Testerei ein, wir behandeln Corona, als hätte es das nie gegeben, wir nehmen den Leuten die Angst, wir feiern auf den Strassen, und der Spuk wird schnell ein Ende haben, nachdem er seinen natürlichen Verlauf genommen hat.»

DAS wäre eine Regierung. Und man wird doch wohl noch träumen dürfen.

Aber es wird nicht geschehen. Und deshalb, lieber Bundesrat, gehe ich davon aus, dass ich auch nach diesem Mittwoch weiter schreiben werde. Denn es wird immer Irrsinn geben auf der Welt. Dagegen lässt sich nichts tun. Wichtig ist nur, dass jemand sagt, dass es Irrsinn gibt. Dass es jemand beschreibt. Dabei würde ich so gerne über andere Dinge schreiben. Aber Du lässt mir ja keine Wahl.

Hochachtungsvoll

Stefan Millius

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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