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Fachbeitrag

Mit der Digitalisierung Menschen wirksam in den Fokus rücken

Dass die digitale Disruption eine Branche nach der anderen erfasst und Denkweisen sowie Mechanismen aus dem Industriezeitalter nicht in die neue Zeit passen, hat sich herumgesprochen.

Jasmine Grabher am 18. Oktober 2022

Auch dass der Mensch bei der Digitalisierung in den Fokus gerückt werden sollte, ist vielen klar – jedoch nicht, wie dies funktioniert. Denn oft schlagen teure Digitalisierungsprojekte fehl. Zahlreiche Studien zeugen davon und zeigen Handlungsfelder auf. Bei ihrer Realisierung nehmen Führungskräfte eine Schlüsselrolle ein.

Entscheider in Unternehmen, die eine Transformation im Bereich Digitalisierung planen und meinen, es handele sich allein um eine technische Veränderung, die mit Prozessen sowie Workflows umgesetzt werden kann, werden brutal scheitern, wie Stefan Dudas, Business-Experte, Keynote-Speaker, Coach und Autor im Magazin HR Today prognostizierte. Zahlreiche Projekte misslingen aufgrund fehlender Akzeptanz der Mitarbeiter, Kommunikationsschwierigkeiten, unklarer Aufträge, der Zusammenarbeitskultur, von Machtkämpfen und fehlendem Vertrauen. Denn die digitale Transformation sei eher ein mentaler Wandel. Dass dieser häufig noch nicht gelingt, zeigt zum Beispiel der Monitor Datengesellschaft und Solidarität 2022 der Sanitas-Stiftung. Ihm zufolge glauben 70 Prozent der Befragten, dass die Digitalisierung im Wirtschaftsleben zu mehr Ungleichheit führt und die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern tiefer wird.

Erfahrungen sind ausschlaggebend

Ob Menschen die digitale Transformation eher in einem Angst- oder in einem Hoffnungsszenario erleben, hängt nach einer Befragung des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation wiederum davon ab, wie sie die Auswirkungen auf ihre eigene Handlungsfähigkeit einschätzen und welche Erfahrungen sie diesbezüglich sammeln. Die Wahrnehmung sowie Bewertung der digitalen Transformation in der Arbeitswelt sei sehr differenziert. Sie bewege sich zwischen „Druck und sozialer Kälte“ und mehr Selbstbestimmung sowie einer Zunahme an Gestaltungsmöglichkeiten. Vorzüge wie mehr räumliche und zeitliche Flexibilität seien erkennbar. Jedoch können viele keinen Vorteil für die Beschäftigten identifizieren. Das Forschungsinstitut beziffert den Anteil derer, die mit der Digitalisierung eine grössere Entscheidungsfreiheit in der Arbeit verbinden, mit circa einem Drittel, während fast die Hälfte eine Zunahme von Überwachung und Kontrolle verspürt. Viele Beschäftigte verknüpfen mit der Digitalisierung grössere Arbeitsbelastung, zunehmende Arbeitsmengen sowie zunehmend mehr gleichzeitig zu bewältigende Vorgänge.

Angesichts dessen überrascht es nicht, dass das Meinungsforschungs- und Beratungsunternehmen Gallup im State of the Global Workplace 2022 weltweit einen neuen Rekord des Stresslevels attestierte. In der Schweiz machen sich 21 Prozent der Mitarbeiter jeden Tag Sorgen. 41 Prozent empfinden täglich Stress, 14 Prozent Ärger und zwölf Prozent Traurigkeit. Der aktuelle Job-Stress-Index der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz bestätigt diese Entwicklung. Demnach hat der Anteil der Erwerbstätigen, die sich emotional erschöpft fühlen, erstmals die 30-%-Marke überschritten. Dass die Art der Digitalisierung erheblichen Anteil daran hat, erläuterte unter anderem Irene Etzer-Hofer, Leiterin Fachstelle Betriebliches Gesundheitsmanagement der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Durch die zeitlich und örtlich flexiblere Arbeit verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. „Aufgrund ständiger Erreichbarkeit, zu kurzer Erholungszeiten und fehlender Abgrenzung steigen die Arbeitsbelastung und damit auch das Risiko bezüglich Selbstgefährdung. Vermehrter Stress ist eine der Folgen.“ Durch die Digitalisierung habe sich das Verhältnis von Belastungen und Ressourcen bei der Arbeit verändert. Das heisse: „Die geringer werdenden Erholungsmöglichkeiten können positive Komponenten wie interessante Arbeitsaufgaben, anregendes Arbeitsklima oder Entwicklungsmöglichkeiten immer weniger gut kompensieren.“ Mitarbeiter und Unternehmen müssen neue Wege suchen, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Doch wie sehen diese Pfade aus?

Technologien als Werkzeuge nutzen

Zukunftsforscher Eike Wenzel verglich in einem Interview mit Focus online Technologien mit Werkzeugen wie Hammer und Bohrer. Er sagte: „Wir müssen uns jetzt einfach überlegen, wie wir künstliche Intelligenz als digitalen Hammer und Bohrer einsetzen wollen.“ Am meisten hake es an einer zustimmungsfähigen gesellschaftlichen Vision für eine glückliche oder zumindest gute Zukunft. Das Bayerische Forschungsinstitut für Digitale Transformation nannte die Partizipation der Menschen als zentral für das Gelingen des Wandels und verwies auf Empowerment als vielversprechenden Ansatz zur Stärkung von Handlungsfähigkeit in der Arbeitswelt. Damit Widerspruchserfahrungen reduziert werden und immer mehr Menschen in die Lage kommen, die Möglichkeiten der digitalen Transformation als „Produktivkraft“ zur Erweiterung ihrer Handlungsfähigkeit zu erfahren, komme es vor allem auf die Qualifizierungsstrategien sowie Belastungssituationen in der Arbeitswelt an. Zudem seien der Schutz der Privatsphäre, die sozialen Folgen der Plattformökonomie und die generelle soziale Spaltung der Gesellschaft wichtige Themen.

Stefan Dudas ist der Überzeugung, dass fähige Mitarbeiter künftig nur noch in Firmen arbeiten werden, die Vertrauen und Wertschätzung ausstrahlen, die Sinn stiften. Daher rät er, vor „coolen, zukunftsträchtigen Projekten“ über Sinn, Vertrauen, Arbeit und Erfolg nachzudenken. Denn ohne Sinn habe alles keinen Sinn. Mitarbeiter schalten auf Durchzug, Innovationen verpuffen. Eine schlanke Organisation etwa lasse sich nur dann aufbauen, wenn gleichzeitig über Vertrauen und Sinn gesprochen, dieser erkannt und akzeptiert werde. Dabei könne Sinn nicht verordnet werden.

Rahmenbedingungen bewusst gestalten

Irene Etzer-Hofer sieht in Massnahmen zur Stressreduktion einen Weg, negativen Folgen der Arbeitsflexibilisierung entgegenzuwirken. Dies können zum Beispiel Unterstützungsangebote und Konzepte sein, die bei den nötigen Selbstmanagement-Kompetenzen ansetzen. Jene zahlen auf das Empowerment ein, welches das Bayerische Forschungsinstitut für Digitale Transformation thematisierte. Eine Prämisse bei dieser Gestaltung sollte sein, bei der Weiterbildung den Fokus auf zwischenmenschliche Kompetenzen zu legen, wie es Zukunftsforscher Tristan Horx beschrieb. Das bestätigte auch der kaufmännische Verband: Die zunehmende Komplexität der Themen bedinge neue Kompetenzen. Dazu zählen Anpassungsfähigkeit, kritisches Denken, Kommunikation und Interdisziplinarität. Führungs- sowie Sozialkompetenzen werden immer wichtiger.

Immerhin geht es nach Formulierungen von Tristan Horx nicht zuletzt darum, eine „gesunde Synthese“ aus dem Analogen und dem Digitalen zu schaffen, um im Zuge der Überdigitalisierung wieder echte Beziehungen und Kulturtechniken zu entwickeln. Damit Sie diese Kultur schaffen und im sich verschärfenden Wettbewerb um Innovation sowie Talente erfolgreich agieren können, finden wir für Sie die passenden Führungspersönlichkeiten.

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Autor/in
Jasmine Grabher

Jasmine Graber ist Senior Management Consultant bei Nellen & Partner in Zürich.

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