Das Onlinemagazin «Republik» kritisiert den St.Galler Arzt Ralph Aschwanden, der in einem aufsehenerregenden Fall ein gerichtliches Gutachten erstellt hat. Es ist allerdings keine fachliche Debatte, es scheint eher um persönliche Haltungen zu gehen - und um verschiedene Weltbilder.
Es geht um ein Tötungsdelikt im Bezirk See-Gaster, in dem das Gericht vor wenigen Tagen festgestellt hat, dass der Täter schuldunfähig ist und stationär therapiert wird; wir haben berichtet. Damit wurde ein erstinstanzliches Urteil aufgehoben, das den Mann für 20 Jahre ins Gefängnis schicken wollte.
Auch das Zürcher Onlinemagazin «Republik» hat das aktuelle Urteil thematisiert. Allerdings ist die Autorin des Textes offenbar nicht nur Gerichtsberichterstatterin, sondern gleich auch selbst Gutachterin und Expertin. Denn schon in der Einleitung schreibt sie: «Es geht um eines der schwersten Verbrechen in der Ostschweiz der letzten Jahre. Und um einen Gerichtspsychiater, der sich gewaltig irrt.»
Was die Journalistin so in Rage bringt: Entgegen dem nun gefällten Urteil stellte der Gutachter, den das Gericht zur Beurteilung des Täters geholt hatte, im ersten Prozess fest, der Täter sei zurechnungsfähig gewesen. Er sah in ihm eine Gefahr, hielt eine Therapie für sinnlos und empfahl die Verwahrung.
Psychatrische Gerichtsgutachten sind keine exakte Wissenschaft, sie sind immer Einschätzungen. Immerhin geht es nicht um verwertbare Tatortspuren, sondern um die Psyche eines Menschen. Nicht selten werden mehrere Gutachten angefordert, und diese widersprechen sich gegenseitig. Es ist ein normaler Vorgang.
Doch in diesem Fall macht die «Republik» aus der Geschichte eines Tötungsdelikts eine Story über den Gutachter. Dieser heisst Ralph Aschwanden, betreibt in Uzwil eine Praxis als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit dem Schwerpunkt Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, ist Amtsarzt des Kantons St. Gallen und kantonaler Fachrichter.
Und: Die Autorin des «Republik»-Artikels mag ihn nicht. Aschwanden sei «hierzulande kein Unbekannter», er äussere sich «in Gratisblättern oder in der Boulevardzeitung zu allem Möglichen», und er halte «Ferndiagnosen feil».
Damit ist Ralph Aschwanden nicht allein unter seinesgleichen. Der Zürcher Frank Urbaniok oder Thomas Knecht in Herisau sind zwei Psychiater, die ebenfalls liebend gerne über Medien Fälle beurteilen, die sie nur aus Distanz kennen. Verglichen mit diesen beiden ist Aschwanden sozusagen unsichtbar.
Aber es geht noch weiter: «Er vertritt, gelinde gesagt, ziemlich irritierende Haltungen», heisst es im «Republik»-Artikel über Aschwanden.
Was meint die Gerichtsjournalistin damit? Sie führt Beispiele auf.
So habe Aschwanden gesagt, gewaltbereite Männergruppen, die Frauen attackieren, stammten «fast immer aus afrikanischen oder asiatischen Gebieten, wo eine strenge patriarchale Kultur ausgelebt wird». Er thematisierte den Zusammenhang zwischen Migration aus Balkanländern und Gewalt gegen Frauen. Nicht Integrationswillige seien auszuschaffen. Und er habe auch schon kritisiert, Richter hätten zu wenig Mut, einen Menschen für immer wegzusperren.
Die Möglichkeit zu Letzterem gibt es inzwischen mehr oder weniger, die ordentliche Verwahrung. Der Gesetzgeber hat sie ausdrücklich vorgesehen. Der Amtsarzt gibt seiner Meinung Ausdruck, wonach das nicht immer geschehe, wenn es eigentlich angebracht wäre. Das findet die Journalistin «irritierend».
Der Text ist durchsetzt von Mutmassungen, die dazu dienen, den Gutachter zu diskreditieren, deren Wahrheitsgehalt aber völlig offen ist. Es ist eine Art Kampagne im Miniformat.
So schreibt die Autorin: «Aschwandens Befund steht rasch fest.» - Woher weiss sie, wie lange er daran gearbeitet hat?
Sie wirft ihm vor, er habe «bis zum erstinstanzlichen Prozess unbeirrt daran festgehalten». - Es ist zu hoffen, dass er sein Gutachten nicht einfach alle zwei Tage auf den Kopf stellt.
Oder auch: «Er ignoriert andere Fachmeinungen.» Es fehlt jeder Nachweis dafür. Gut möglich, dass Aschwanden andere Meinungen eingeholt oder angehört hat, doch er ist bei seinen Schlussfolgerungen geblieben. Das Gericht bestellt keinen Gutachter, damit der danach Umfragen veranstaltet und seine eigenen Schlussfolgerungen beim ersten Gegenwind kippt.
Es wird über und über deutlich, dass die Journalistin ein Problem mit Aschwandens Haltung hat. Aber nichts deutet daraufhin, dass er sich in seinem Gutachten von seiner persönlichen Ansicht steuern liess. Vielmehr ist es so, dass die Gerichtsjournalistin - die selbstverständlich keinen direkten Einblick in die Psyche des Täters hatte - subjektiv eine andere Meinung hat und ihr das Gutachten deshalb gegen den Strich ging.
Grundlage des neuen Urteils war ein Gutachten eines anderen Psychiaters, der zu einem anderen Schluss kam. Aber wie erwähnt: Das ist normal und kein Nachweis dafür, dass das erste Gutachten falsch war. Denn das ist ja die Krux: Wissen tut man das erst in langer Zeit. Bis dahin darf man munter behaupten. Oder wie in diesem Fall sich sogar zu einem Titel herablassen, der da heisst: «Justizskandal, knapp verhindert».
Wäre auch die zweite Instanz auf die Lösung Haft statt stationäre Massnahme gekommen, wäre das also ein Justizskandal gewesen. Jedenfalls, wenn es nach der «Republik» geht, die nach ein bisschen Aktenstudium weiss, wie es wirklich ist.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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