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Emotionales Thema

Nach den Wolfsrissen in Ausserrhoden sagt der Experte: «Wir gehen davon aus, dass es sich um ein männliches Einzeltier handelt»

Dem Wolf scheint es im Kanton Appenzell Ausserrhoden zu gefallen: In den letzten Wochen gab es gleich mehrere Fälle von Wolfsrissen. Auch wenn ein Reh nahe der Siedlung erlegt wurde: Panik ist nicht angebracht.

Manuela Bruhin am 02. Mai 2024

Zugegeben, das Bild kann verstörend wirken: Der Schnee ist rot gefärbt, und wohl nur die Wenigsten würden sich trauen, genauer hinzuschauen, um herauszufinden, was passiert ist. Das Reh, welches Ende April von einem Wolf in Teufen gerissen wurde, hatte keine Chance. «Der Wolf ist ein Jagd-Profi», fasst es Andres Scholl, Leiter der Abteilung Natur und Wildtiere des Kantons Appenzell Ausserrhoden, zusammen. «Er ist kräftig und beisst mit grosser Gewalt und zielsicher zu.» Meist tritt der Tod des erlegten Tieres ganz schnell ein.

Der Wildriss ereignete sich nahe an der Siedlungsgrenze in Teufen. Auch wenn das für gewisse Leute vielleicht auf den ersten Blick als gefährlich erscheint: Für den Wolf ist das nichts Unnatürliches. Die Experten gehen davon aus, dass sich das Reh auf der Wiese auf Nahrungssuche befand. Vielleicht versuchte es noch, zu flüchten, als es den Feind bemerkte, und der Wolf nahm die Verfolgung auf. «Es ist nicht so, dass der Wolf extra nahe an das Siedlungsgebiet herangekommen ist, sondern er ist schlicht seiner Beute nachgejagt», so Scholl weiter.

Weil sich das gerissene Reh jedoch nahe bei der Siedlung in Teufen befand, wurde es durch den Wildhüter entfernt. Üblicherweise wird das nicht gemacht. Denn so kann es der Wolf und andere Wildtiere weiter nutzen, bis fast nichts mehr vom Kadaver übrig ist.

Weibchen entscheiden

Nebst dem Reh wurde Mitte April, ebenfalls in Teufen, ein Schaf von einem Wolf gerissen. Vor wenigen Tagen kam schliesslich noch ein Alpaka in Wolfhalden dazu. Derzeit geht man davon aus, dass es sich um ein männliches Einzeltier handelt, welches in den Wäldern umherstreicht. «Es gab bisher keinerlei Sichtungen, die auf mehrere Tiere hindeuten würden», sagt Scholl. Auch die Spuren lassen auf ein Tier schliessen. Gut möglich, dass es sich beim männlichen Wolf um ein Tier handelt, welches sich von seinem Rudel entfernt hat und nun ein neues Revier sucht.

Die Gefahr, dass es nun gleich ein neues Rudel gibt, ist jedoch klein. Entscheidend seien dafür die Weibchen, die weniger mobil sind und darüber entscheiden, wo sich ein neues Rudel bilden könnte. Weitere Sichtungen gingen in den vergangenen Tagen in Appenzell Ausserrhoden nicht ein. Auch vermehrt besorgte Anrufe seitens der Bevölkerung oder Landwirte blieben bisher aus.

Keine Gefahr für Menschen

Auch wenn man auf einen Wolf treffen sollte: Angst braucht man nicht zu haben. Wie eine Studie herausfand, sind Wolfsangriffe – insbesondere in unseren Breitengraden – praktisch ausgeschlossen. Meist würde der Wolf bei einer Begegnung mit einem Menschen auch nicht gleich in Panik verfallen und flüchten, sondern wie andere Wildtiere auch, beobachten und dann automatisch das Weite suchen. «Generell soll man Wildtiere nicht verfolgen oder bedrängen, sondern ihnen Zeit und Raum lassen für den Rückzug. Das gilt auch für den Wolf», so Scholl.

Ähnlich seien auch Füchse oder andere Wildtiere unterwegs, die abends ihren Streifzug machen würden und hoffen, dabei auf Nahrung zu stossen. Solche Begegnungen zwischen Menschen und Tier sind praktisch immer problemlos. «Der Wolf betrachtet den Menschen nicht als Beute», betont Scholl.

Wichtige Massnahmen

Vielmehr müsste die Frage lauten: Weshalb konnte der Wolf das Schaf und das Alpaka überhaupt reissen? Gibt es Wolfssichtungen, werden die registrierten Tierhalter jeweils durch einen SMS-Alarm informiert. Im Falle des gerissenen Alpakas waren die Tiere zwar sachgerecht eingezäunt. Jedoch fehlten laut Kantonsangaben die stromführenden Litzen – und somit waren die Kriterien für den Herdenschutz nicht erfüllt. Auch das gerissene Schaf in Teufen war nicht durch Herdenschutzmassnahmen geschützt.

«Fehlen die richtigen Massnahmen, ist es für den Wolf relativ einfach, unter dem Zaun durchzuschlüpfen oder sich durchzugraben», sagt Scholl. Die Umsetzung sei nicht in jedem Gelände gleich einfach – ein Bach oder unebenes Gelände erschweren die Bedingungen. «Das ganze Thema rund um den Herdenschutz und den Wolf ist für viele sehr emotional», so Scholl. Fakt ist jedoch, dass sich der Wolf diejenigen Tiere als Beute aussucht, die er am einfachsten erbeuten kann. Und genau dabei würde ihm ein richtiger Herdenschutz ein Schnippchen schlagen. Scholl: «Korrekt angewendete Herdenschutzmassnahmen für Nutztiere vermögen nachweislich, Wolfsrisse zu verhindern. Damit würden Nutztiere geschont, Tierhalter entlastet und die kantonale Wildhut hätte weniger zeitintensive Abklärungen.» Bund und Kanton unterstützen Tierhalter bei ihren Bemühungen für Herdenschutzmassnahmen mit Information, Beratung und finanziellen Mitteln.

(Bild: pd)

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) aus Waldkirch ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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