In den letzten Wochen gab es gleich mehrere Entführungsversuche von Kindern – zuletzt in Arbon. Die Kantonspolizei St.Gallen und Thurgau über kindliche Fantasien, den Stolperstein Soziale Medien und (über)-sensibilisierte Kinder.
Sie sind wohl der Horror für viele Eltern und natürlich ihren Nachwuchs: Vermeintliche Entführungsversuche in der Ostschweiz gab es in den letzten Wochen und Monate gleich mehrere. Beispielsweise Anfang April, als in Niederuzwil ein Mann aus einem Fahrzeug einen Schüler angesprochen haben soll. Nur einen Tag später wiederholte sich eine ähnliche Tat. Und bereits wenige Stunden später meldete eine Schülerin in Waldkirch, dass sie ebenfalls von einem unbekannten Mann aus einem Fahrzeug angesprochen worden sei. Zuletzt wurde Mitte Juni in Arbon der Versuch einer Entführung eines siebenjährigen Mädchens gemeldet.
Stehen die Vorfälle in einem direkten Zusammenhang? Laut Florian Schneider, Mediensprecher der St.Galler Kantonspolizei, konnte in den Fällen Anfangs April keine Person verantwortlich gemacht werden. «In einem Fall konnte ein Fahrzeug näher eingegrenzt werden, dessen Lenker nach jetzigem Kenntnisstand mehrere Personen nach dem Weg gefragt hat.» Zumindest ein Fall habe sich somit relativiert. Zusammenhänge mit anderen regionalen Meldungen bestehen gemäss jetzigem Kenntnisstand der Polizei nicht.
Schneider ist es wichtig, zu betonen, dass zwar Kinder angesprochen wurden. «Entführungsversuche im eigentlichen Sinn des Wortes waren das nicht.» Vermehrte Anrufe von besorgten Eltern habe die Polizei bisher nicht verzeichnet. Und ohnehin sei Angst ein schlechter Ratgeber und nicht angebracht. Die Zusammenarbeit mit den Schulen habe sich bereits gut etabliert und bedürfe keiner Anpassung.
Gleiche Täter?
Ähnlich sieht es die Kantonspolizei Thurgau. Seit Anfang April sind rund ein halbes Dutzend Meldungen zu verdächtigem Ansprechen und einer versuchten Entführung von minderjährigen Personen eingegangen, mit jeweils stark variierendem Inhalt, sagt Mediensprecher Miguel Lopez. «Es liegen bis jetzt keine Hinweise vor, dass es sich um die gleiche Täterschaft handelt.»
Auch im Kanton Thurgau funktioniere die Zusammenarbeit mit den Schulen gut. Man unterstütze die Schulleitungen, Lehrer und Lehrerinnen beim Verfassen von Elternbriefen, so Lopez weiter.
Verdächtige Feststellungen
Was jedoch die Polizeiarbeit herausfordere, seien die Sozialen Medien – sowohl im Kanton Thurgau wie auch St.Gallen. Schneider: «Wir bitten dringend darum, keine privaten Warnmeldungen über Messenger oder Social Media zu verbreiten.» Verdächtige Feststellungen oder weitere Fälle von angesprochenen Kindern sollen einzig und unmittelbar via Notruf 117 der Polizei gemeldet werden.
Miguel fügt an: «Leider gab es in der Vergangenheit Informationen von Ereignissen, die ausschliesslich auf Social-Media-Plattformen geteilt worden und nicht bis zur Polizei gelangt sind.» Werden ungesicherte Informationen über die Sozialen Medien verbreitet, würden schnell Gerüchte entstehen, so Miguel. «Das ist für die Polizei ein Problem. Falschinformationen führen zu grösseren Ängsten und erschweren unter Umständen die Ermittlungen.»
Wird ein Fall publik, folgen häufig gleich ein oder zwei weitere. Schneider: «Es ist auffällig, wenn nach einem Fall in einer Region plötzlich in derselben mehrere gleichgelagerte Meldungen eingehen – dies teilweise sogar mit gleichzeitigen Sichtungen von signalisierten Personen oder Fahrzeugen zur gleichen Zeit.»
Die Kantonspolizei nimmt die Meldungen sehr ernst – und würde deshalb sehr schnell die Ressourcen binden. Beide Polizeikorps betonen, dass es zwar wichtig sei, dass Eltern die Thematik mit ihren Kindern besprechen. Doch auch hier ist ein gesundes Mass gefragt. Schneider: «Ein Teil der Meldungen dürfte jeweils auf übersensibilisierte Kinder und deren Eltern zurückzuführen sein.» Sensibilisierungen von Kindern seien sehr wichtig, dürfen aber nicht einschüchternd erfolgen.
Andere Auffassungsgabe
Schneider betont, dass der einzig richtige Schritt bei verdächtigen Feststellungen sei, die Polizei zu alarmieren. «Wenn wir eine Gefahr erkennen, die polizeilichen Massnahmen ausgeschöpft sind oder eine Sensibilisierung für angebracht halten, gehen wir schon an die Öffentlichkeit. Das ist keine Aufgabe von Privaten – im Gegenteil, meist ist dies gar kontraproduktiv.»
Kinder haben in manchen Fällen eine andere Auffassungsgabe als Erwachsene. Erlebnisse würden von ihnen vielleicht anders wiedergegeben werden als von Erwachsenen. Schneider betont jedoch, dass Meldungen, die Kinder betreffen, ernst genommen werden. «Viel wichtiger als eine vielleicht nicht ganz akkurate Schilderung eines Kindes ist das überlegte Handeln von Erwachsenen, indem das Kind mit dem Erlebten begleitet, direkt die Polizei kontaktiert und keine Panik geschürt wird.»
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(Bilder: Depositphotos/pd)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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