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Gespräch mit Lehrervertreter

Nach Pisa-Studie sagt Präsident des St.Galler Lehrerverbands: «Manche Zahlen haben einen gewissen Widerspruch»

Am 5. Dezember hat die OECD die neue Pisa-Studie vorgestellt. Mit 81 Teilnehmerländern ist sie die bisher grösste Erhebung. Nach den schlechten Ergebnissen der Schweizer 15-Jährigen im Lesen sagt Patrick Keller, Präsident des St.Galler Lehrerverbands: «Wir müssen auch die Eltern ins Boot holen.»

Manuela Bruhin am 14. Dezember 2023

Traue keiner Studie, die du nicht selber gefälscht hast, so lautet eine bekannte Redewendung. Wie ernst müssen wir also die Pisa-Studie nehmen? Während einige diese als heiligen Gral sehen, wird sie von anderen kritischer beurteilt. Patrick Keller, Präsident des St.Galler Lehrerverbands, erklärt im Gespräch, dass besonders der Vergleich mit sich selber für die Schweiz interessant sei. «Der Kontext mit anderen Ländern ist eher schwierig. Vielleicht haben dort nur die sehr guten Schüler:innen teilgenommen – deshalb kann ein Vergleich hinken.» Wie sich die Schweiz über all die Jahre entwickle und verändere, sei hingegen sehr spannend zu beobachten.

Das System funktioniert

In den drei Kernfächern Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften hat die Schweiz überdurchschnittlich gut abgeschnitten. Grundsätzlich zeige dies auf, dass das Schweizer Schulsystem funktioniere, so Keller weiter. Bemerkenswerter sind jedoch die Zahlen, die aufzeigen, dass die Schweiz beim Lesen und auch der Mathematik Punkte verloren hat.

«Dies alleine ist zwar nicht besorgniserregend, weil man die Entwicklung über viele Jahre beobachten muss, um eine wirkliche Aussage treffen zu können», sagt Keller weiter. Schliesslich könnten verschiedene Gründe dazu geführt haben, dass Punkte in den beiden Fächern verloren gegangen seien.

Hohe Massstäbe

Anders sieht es in diesem Bereich aus: In der Mathematik verfehlen 19 Prozent die Mindestanforderungen, ebenso in den Naturwissenschaften. Beim Lesen scheitern sogar 24 Prozent an den alltäglichen Anforderungen. Jeder vierte Schüler versteht also einen einfachen Text nicht.

Besonders bitter für die Schweiz, die eigentlich hohe Massstäbe an die Bildung hat. Doch wer hat hier versagt? «Die Ursachen sind komplex. Es spielen verschiedene Faktoren, wie zum Beispiel die Motivation für Fächer oder die Folgen des Lehrpersonenmangels», sagt Keller weiter.

Die Lehrpersonen in der Schweiz würden sich täglich grösste Mühe geben Schülerinnen und Schüler zu fördern. Nun sei es an den Fachpersonen, die Ergebnisse zu analysieren und entsprechende Hilfestellungen herauszugeben.

Ein Widerspruch?

Doch welche Folgen hat es, dass so viele Schüler:innen einen einfachen Text nicht verstehen? Müssen es schliesslich die Lehrmeister ausbaden, was in der obligatorischen Schulzeit anscheinend verpasst wurde?

«Bei einigen Resultaten der Studie gibt es gewisse Widersprüche – das ist einer davon», so Keller. Denn wie wäre es möglich, dass so viele Schüler:innen Defizite im Lesen aufweisen, aber dennoch 90 Prozent eine Lehre erfolgreich absolvieren können? «Da stellt sich die Frage, wie diese Zahlen der Studie zusammenkommen.»

Nun sei es wichtig, dass Fachpersonen sämtliche Zahlen aufschlüsselten und sich Gedanken darüber machten, wo angesetzt werden könne, um Verbesserungen einzuleiten. Dies könne auch im kleinen Rahmen passieren. Beispielsweise, wenn Lehrpersonen untereinander die Resultate besprechen und vermehrt Lesetrainings einführen möchten.

Genau hinschauen

Alarmierende Zahlen gibt es auch im Bereich des Mobbings. 19 Prozent der 15-Jährigen gaben im Rahmen der Pisa-Studie an, mehrfach pro Monat gemobbt zu werden. Das Spektrum reicht vom Ausgelachtwerden bis hin zu physischer Gewalt.

«Mobbing gehört leider zum Schulalltag dazu. Jeder Mobbingfall ist einer zu viel», so Keller. Dennoch müsse genauer hingeschaut werden: Ist es wirklich Mobbing – oder eher ein einzelner Konflikt, welcher sich in zwei, drei Wochen erledigt hat? Im Mobbingfall sei es entscheidend, dass sogleich eingeschritten werde. Entsprechende Präventionsprogramme liefen bereits, und auch hier müssten noch weitere Massnahmen folgen.

Alles in allem dürfe die Schweiz mit dem Resultat der Pisa-Studie zufrieden sein. «Wir machen vieles gut, dürfen aber vor den Problemen nicht die Augen verschliessen», fasst es Keller zusammen.

Es sei wichtig, auch die Eltern ins Boot zu holen. Natürlich sei es nicht in jedem Falle möglich. Dennoch: Es sei hilfreich, wenn die Eltern positiv von der Schule reden, ein lernförderndes Umfeld schaffen – und sich nicht zuletzt für die Anliegen und Sorgen ihrer Kinder interessieren.

(Bild: pd)

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) aus Waldkirch ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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