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Huber & Senn

Ohne Widersprüche und mit einer Stimme – Oder warum der Bund nichts lernt

Wie sagte damals ein Englisch-Lehrer an der Kanti Burggraben: Fehler machen ist keine Schande. Aber denselben Fehler zweimal zu machen, das ist dumm. – Der Bund macht’s grad vor, oder besser: nach.

Huber & Senn am 15. September 2020

Wir haben an dieser Stelle schon kritisiert, dass es den Corona-Verantwortlichen des Bundes lange nicht gelungen war, ganz zu Beginn der Pandemie in seiner Krisenkommunikation die wichtigste Botschaft klar rüberzubringen. Sie hätte damals «Flatten the curve» geheissen. oder in Deutsch: Kurve flach halten. Oder ausformuliert: «Wir müssen die Ansteckungsrate tief halten, weil sonst unser Gesundheitssystem kollabiert».

Eigentlich lösbar. Doch Corona-Dompteur Daniel Koch erzählte lieber, dass vor allem alte Leute gefährdet waren und Kinder das Virus nicht übertragen. Die Folge: Es brauchte einen Lockdown mit einschneidenden Massnahmen und Absperrgittern, weil die jüngeren Semester nicht einsahen, warum sie zuhause bleiben sollten.

6 Monate später

Und die Kommunikation ein halbes Jahr später? Woche für Woche werden Massnahmen beschlossen und kommuniziert. Man diskutiert, ob man im Fussballstadion noch sein Bierchen zwitschern darf. Und was ist mit der Kernbotschaft passiert? Sie hat sich praktisch in Luft ausgelöst, da es kaum mehr Todesfälle gibt und auch die Intensivpflegepatient/innen mit Covid an einer Hand abzuzählen sind. Im Kanton St. Gallen sind aktuell zwei Patienten wg. Covid auf der Intensivstation.

Auch beim zweiten Anlauf haben es die Bundesbernern Beamten nicht verstanden. Es wird zwar munter kommuniziert, aber eine Kernbotschaft fehlt. Eine Kernbotschaft, die erklären würde, welche Strategie verfolgt wird.

Und die Medien? Auch an dieser Front gibt’s nicht viel Positives zu berichten. Na gut, SRF hat am Donnerstagabend immerhin in einer sehenswerten Dok aufgearbeitet, was alles nicht funktioniert hat. Und viele unserer früheren Aussagen bestätigt. Fazit: Ein tristes Bild, das unsere Behörden da abgeben. Ansonsten haben die meisten Journalisten/Medien ihre Rolle immer noch nicht gefunden. Die direkt und indirekt über den Staat finanzierte SRG berichtet täglich brav über die neuen Corona-Schutzmassnahmen und warnt vor allen kritischen Stimmen und den Demonstranten. Das sind nämlich wahlweise Rechtsextreme, Aluhüte, Linksextreme, Exorzisten oder sonstige Spinner, wie die Rundschau diese Woche berichtete. Ganz schlimm: Die Bundesstrafrichterin Andrea Blum hat auf ihrem Facebook-Profil auf ein paar kritische Beiträge verlinkt. Kritische Nachfragen dazu, welcher Strategie die ganzen Massnahmen denn nun zudienen sollen? Fehlanzeige.

Alarmistische Tendenzen

Und die Privaten? Auch Ringier gefällt sich immer noch darin, auf blick.ch täglich Kritiker als Coronaleugner abzustempeln – wobei tatsächliche Spinner und Aluhüte und solche, die fundiert kritische Fragen stellen, kaum unterschieden werden. Das würde die Welt ja viel zu kompliziert machen. Dazu die täglichen alarmistischen Meldungen von immer höheren neuen Corona-Fallzahlen. Und die Homestory von… wem wohl? Richtig geraten. Daniel Koch. Und dieses Mal mit einem echten Primeur. Endlich wissen wir jetzt nämlich, was wir schon immer wissen wollten: welches sein Lieblingsbier ist. Und doch, es wird noch blöder. Sein Lieblingsbier ist das Corona. Als hätten wir’s nicht längst geahnt.

Aber hinterfragt auch mal einer die staatliche Strategie? Erklärt mal einer, warum wir Masken tragen im leeren Zugsabteil, im Restaurant aber wieder gemütlich aufeinandersitzen? Warum Grossveranstaltungen wieder zugelassen werden, aber darüber diskutiert wird, dass in den Schulen eine Maskenpflicht eingeführt wird? «Um keinen zweiten Lockdown zu riskieren», heisst es dann. Oder aus dem Munde des Zürcher Stadtrates Andreas Hauri: «Es gehe darum, auf jeden Fall zu verhindern, dass Zürich zum Risikogebiet erklärt wird.». Und das wird es automatisch, wenn die Ansteckungsrate die Schwelle von 60 Ansteckungen pro 100'000 Einwohner/innen überschreitet. Aha. Das ist wirtschaftlich nachvollziehbar. Wenn wir Risikogebiet sind und Menschen in Quarantäne müssen, dann werden wohl nicht mehr viele nach Zürich kommen, mutmasst Hauri – wohl zurecht.

Strategie

Nur: Wie sinnlos die Definition dieser «Risikogebiete» ist, haben in den letzten Wochen viele am eigenen Leib erfahren. Eine Bekannte musste Hals über Kopf aus Ibiza abreisen, um nicht 10 Tage in Zwangsquarantäne gehen zu müssen. Ihre Erfahrung löste bei ihr nur Kopfschütteln aus: über 300 Franken an die Swiss für eine Reiseumbuchung (vom Donnerstag auf Dienstag). Und das, um in die Schweiz zurückzukehren, wo die Sicherheitsmassnahmen zu diesem Zeitpunkt wesentlich laxer waren als auf der Baleareninsel, wo damals schon alle Masken trugen und keiner in ein Geschäft gelassen wurde, wenn er sich nicht bei der Türe die Hände desinfiziert hatte.

Ganz zu schweigen davon, dass die Anzahl festgestellter Ansteckungen pro Hunderttausend Einwohner/innen natürlich wieder ganz enorm davon abhängt, wie getestet wird. Ganz nach dem Trump’ schen Motto: Teste wenig und das Virus verschwindet.

Ist es also das? Heisst die Strategie vielleicht: Tiefe Ansteckungszahlen ausweisen, um nicht zum Risikogebiet zu werden, weil das negative wirtschaftliche Folgen hätte? Und wenn’s so wäre: Warum sagt es keiner?

Tiefe Ansteckungsraten als Selbstzweck?

Immerhin, einzelne stellen die Fragen, die zu stellen sind. Der Molekularbiologe, emeritierter Professor und ehemaliger Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern Beda Stadler schrieb beispielsweise einen Artikel in der Weltwoche. Da liest man dann, das Virus sei unterdessen mutiert und abgeschwächt – was die wenigen Todesfälle und Behandlungen in den Spitälern erkläre. Ein lesenswerter Artikel – und wir unterstellen mal, dass Stadler sich das alles nicht einfach aus den Fingern saugt. Aber kaum einer ist drauf eingegangen. Oder die NZZ: Dort hat letzten Samstag Gastautor Wolfram Klingler ein paar Grundsatzfragen gestellt. Die Frage nach der Strategie beispielsweise. Oder wohin das alles führen werde, wenn Grundrechtseinschränkungen durchgesetzt werden müssen, ohne dass den Menschen eine Begründung dafür gegeben wird, die ihnen einleuchtet. Das Szenario, das der Unternehmer Klingler malt, ist kein erfreuliches. Aber plausibel. Es werde, so Klingler, immer mehr Repression brauchen.

Krisenkommunikation oder wie Zombies entstehen

Um das abzuwenden, bräuchte es eine Krisenkommunikation, die diesen Namen verdient und vor all’ den Massnahmen einmal die Strategie erklärt. Nur versagt Bern in diesem Punkt. Weil es keine plausible Strategie gibt? Oder weil sie Krisenkommunikation noch immer nicht können? Das scheint nun auch langsam das BAG selber zu merken. Stefan Kuster sagte dazu «Wir werden nie eine einheitliche Krisenkommunikation haben.» Der unterschiedliche Umgang mit der Corona-Situation in der Schweiz sei eine Stärke des föderalistischen Systems. Dazu gehöre auch, dass es «nie eine homogene schweizweite Krisenkommunikation» geben werde».

Aha. Hier scheint Kuster schon in seiner persönlichen Frustrationsebene hohe Gipfel zu erreichen. Der Blindflug, das Maskendesaster, der Kampf mit den Kantonen und dem eigenen Beratungsgremium, der Covid-19-Taskforce hat die BAG-Kämpfer nach sechs Monaten Covid zu Kommunikations-Zombies werden lassen.

Die mediale Task Force

Einen grossen Anteil daran haben allerdings die rund 60 Forscherinnen und Forscher der Task-Force. Diese - meist Angestellten von staatlichen Institutionen (sie müssen deshalb auch nie Angst haben, dass ihre Lohn wegen Massnahmen mal ausbleibt), nutzen jede Gelegenheit, sich in die Medien zu präsentieren und verurteilen oft in aggressiven Habitus die Entscheide des Bundesrates, wenn er sich nicht an die Empfehlungen ihres erlauchten Gremiums hält. Was mussten wir in den vergangenen Monaten alles schon von diesen Blindflug-Experten hören. «Masken im Büro, «Masken im Zug», am besten ein landesweiter Lockdown, keine Ferien mehr, Quarantänenmassnahmen und vieles mehr. Kein Wunder, regt sich der «Winkelriet in jedem Bewohner der Schweiz».

Und viele fachlich überforderte Medienschaffende protokollieren alles kritiklos und generieren dafür Millionen von Klicks, die neue Währung im Journalismus. Diese Kakofonie des Bundes, der Kantone, der Beratergremien, aller anderen sogenannten Experten und wenig kritische Medien (die ja immer noch auf Unterstützung des Bundes hoffen) sind für die Verunsicherung der Bevölkerung verantwortlich. Kollege Gullotti sagt es im Tagesanzeiger richtig: «Menschen und Organisationen vertrauen auf die Empfehlungen der Behörden.» Das täten sie aber nur, wenn sie verstünden, was Sache sei und warum welche Massnahmen sinnvoll und notwendig seien. «Dazu braucht es klare und stringente Botschaften in der Kommunikation. Ohne Widersprüche und mit einer Stimme.»

Berner Job für Sie?

Übrigens: Der Bund hat eine Stelle dazu ausgeschrieben. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS sucht: Spezialist/in Kommunikation für 80 - 100%. Arbeitsort ist Bern. Zitat aus dem Stelleninserat: «Der Fachbereich Kommunikation beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS sorgt dafür, dass die Öffentlichkeit, die Medien und die Partner gut über Gefährdungen und Schutzmassnahmen informiert sind und die Aufgaben des Bevölkerungsschutzes verstehen. Sie arbeiten im Team in einem kreativen und spannenden Aufgabengebiet. Sie bewältigen die vielfältigen anspruchsvollen Tagesaufgaben und arbeiten an Kommunikationsprojekten mit. Zudem bieten wir Ihnen den Einstieg in die Krisenkommunikation und Sie unterstützen dazu das Kommunikationspikett.»

Wir wagen die Prognose: Auch diese Stelle wird das Problem nicht lösen.

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Autor/in
Huber & Senn

Roger Huber (1964) und Patrick Senn (1969) sind ehemalige Ostschweizer Journalisten, die lange Jahre bei nationalen Medientiteln gearbeitet haben. Heute unterstützen Sie Organisationen und Führungskräfte in der Krisenkommunikation und sind Gründungsmitglieder des Verbandes für Krisenkommunikation vkk.

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