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Christine Stückelberger

«Pferde sind wunderbare Wesen»

Christine Stückelberger von Steiger lebt seit über 40 Jahren auf ihrem Reitbetrieb Haras Hasenberg in Kirchberg. Die erfolgreichste Schweizer Sportlerin, die je an Olympischen Sommerspielen teilnahm, sitzt nach wie vor fast jeden Tag im Sattel. Am 22. Mai feierte sie ihren 75. Geburtstag.

Die Ostschweiz am 02. Mai 2022

Text: Claudia Hutter

Ein bisschen ist es wie Eintauchen in vergangene Zeiten, wenn man das Glück hat, sich mit Christine Stückelberger auf ihrem Hof Haras Hasenberg, der ausserhalb des Dorfes Kirchberg liegt, zu unterhalten. Sie ist mit 40 Medaillen, davon fünf von Olympischen Sommerspielen, eine der erfolgreichsten Sportlerinnen, welche die Schweiz je hatte. Noch immer scheint sie sich an fast alle Reitturniere, die sie in ihrem Leben bestritt, zu erinnen. Und es waren deren viele! Unvergesslich bleibt ihre Goldmedaille im Einzel an den Olympischen Spielen in Montreal von 1976 auf ihrem Pferd Granat. Es war ihr Karriere-Höhepunkt im Alter von 29 Jahren.

Glücklich verheiratet

Auch an die Zeit mit ihrem früheren Lebensgefährten Georg Wahl, der sie als Trainer unter seine Fittiche nahm, erinnert sie sich gerne. Ihn, die internationale Trainer-Legende im Dressursport und Oberbereiter der Spanischen Hofreitschule in Wien, pflegte sie bis zu seinem Tod im November 2013 auf dem «Hasenberg». Danach wurde es ruhiger um Christine Stückelberger, die auch nach ihrem offiziellen Rücktritt vom Sport nach den Olympischen Spielen in Sydney, weiterhin als Trainerin und Richterin im In- und Ausland gefragt war. Vor vier Jahren heiratete sie zum ersten Mal – einen Mann, dem sie bereits als elfjähriges Mädchen an der Reitschule Bern begegnete. Hansrudolf Luginbühl (82) war damals Bereiter. Die kleine Christine steckte ihm ihr allererstes Reit-Abo entgegen. Luginbühl, der Berner, war skeptisch ob der Kleinen, die damals noch kein Berndeutsch sprach. Sie begann mit Logenunterricht, der ihr bis heute bei ihren Reitschülerinnen wichtig ist. Später ging Luginbühl in die USA, wo er eine Familie gründete und während 52 Jahren blieb. Er leistete als US-Soldat mehrere Kriegseinsätze, so auch im Irak. Der Kontakt zwischen den beiden Pferdefreunden riss über all die Jahre nie ganz ab. Hie und da kam ein spontaner Telefonanruf aus den USA. Im Herbst 2017 war dies erneut der Fall, Luginbühl erkundigte sich bei der Schweizer Reiterin, ob sie Hilfe auf dem Hof gebrauchen könne nach dem Tod ihres Partners. Danach ging alles schnell. Ende 2018 waren sie ein verheiratetes Paar.

Stückelberger

Morgens bereits mit einem Lächeln im Sattel: Christine Stückelberger auf dem 23-jährigen Wirbelwind. (Bild: zVg.)

Fest im Sattel

Der Doppelbürger Schweiz-USA hält seiner Frau den Rücken frei, wenn sie nicht auf dem Hof ist. Denn nach wie vor ist Christine Stückelberger als Trainerin unterwegs – entweder unterrichtet sie auf andern Reitanlagen oder sie begleitet ihre Schülerinnen an Turniere. «Es kommen immer mehr Anfragen auf mich zu», freut sich die ehemalige Spitzensportlerin. Das Wissen um das schöne klassische Reiten gehe langsam verloren, bedauert sie. Dem hält sie etwas entgegen, so lange es ihre Gesundheit zulässt. Stückelbergers Schülerinnen unter der Woche kommen aus Frankreich, Belgien und der Schweiz – der Unterricht via Internet macht’s möglich. Am liebsten aber sitzt sie immer noch selbst im Sattel. «Ich geniesse es, Wirbelwind bei gutem Wetter auf dem Aussenplatz zu arbeiten», so Stückelberger.

Stückelberger

«Wirbeli» - wie er von seiner Reiterin genannt wird – galoppiert gerne mal los. Doch die Dressur-Legende verlangt ihm nach wie vor Galopp-Wechsel, Traversalen und Pirouetten ab. (Bild: zVg.)

Pferdeliebe bis heute

Die Enkelin des Bundesrats Eduard von Steiger (1881 – 1962) hatte immer eine enge Beziehung zu Pferden. Als zweijähriges Mädchen wurde sie bei einem Hochzeitsfest plötzlich vermisst. Nachdem alle nach ihr suchten, fand man sie im Pferdestall bei einer Freibergerstute. Ohne jegliche Furcht hatte sie ihre Arme um die Hinterbeine der Stute geklammert. Sie gab den Erwachsenen klar zu verstehen, dass sie auf das Pferd sitzen wolle. Das blieb bis heute so. «Pferde sind für mich wunderbare Wesen. Wirbelwind weiss das ganz genau. Ihm kann ich alles erzählen», lacht sie. Wirbelwind, Stückelbergers zweites Pferd auf dem Hof, ist ein Hengst, ausgebildet bis Grand Prix – das ist die höchste Anforderungsstufe im Dressursport. Auch Hansrudolf Luginbühl hält einen Hengst auf dem «Hasenberg» – den Urfreiberger-Wallach Espresso.

Stückelberger

Mit Espresso, einem heute 17-jährigen Ur-Freibergerhengst, hat Hansrudolf Luginbühl seine Christine vor zwei Jahren überrascht. (Bild: zVg.)

Schlechtes Sitzen austreiben

Grundlage guten Reitens ist ein korrekter Sitz. Daran hält sich die 40-fache Medaillengewinnerin konsequent und vermittelt dies auch all ihren Schülerinnen und Schülern. «Nur wer gut sitzt, kann korrekt reiten», bringt sie es auf den Punkt. Deshalb müssen bei ihr alle Reitwilligen erstmal an die Longe. Dort bleiben sie je nach Talent kürzer oder länger. Stückelberger ist besorgt, dass sie so viel schlechtes Sitzen an Turnieren sieht. Nur wenn Harmonie zwischen Reiter und Pferd sowohl sicht- als auch spürbar sei, könne man von gutem Reiten reden, betont sie. In der Schweiz sehe sie im Vergleich zum Ausland erstaunlich schönes Dressurreiten. Von Show, Zirzensischem und Agressivität hält sie gar nichts. Dem begegnet sie nur allzu oft auf internationalen Reitplätzen. Stückelberger: «Das schadet den Pferden und dem Sport.» Am wichtigsten sind der Pferdeliebhaberin mit einem überaus grossen Herzen für alle Tiere die Freude und die Leichtigkeit, die sich von Reiter und Trainer aufs Pferd übertragen sollten. «Nur wenn alle motiviert sind, können schöne Resultate erzielt werden», sagt die Dressurlegende mit einem mädchenhaften Strahlen auf ihrem Gesicht. Dann wendet sie sich wieder ihren Pferden und den drei Hunden zu.

Stückelberger

Unikate – sorgfältig in Herisau aufbewahrt: Die Medaillen der erfolgreichsten Schweizer Dressurreiterin. (Bild: zVg.)

Eine aussergewöhnliche Sportkarriere

Christine Stückelberger wurde am 22. Mai 1947 in Bern geboren. Ihr Grossvater war eine prägende Persönlichkeit – Bundesrat Eduard von Steiger. Mit 29 Jahren gewann sie bei den Olympischen Sommerspielen 1976 in Montreal/Kanada mit ihrem Holsteiner Wallach Granat die Goldmedaille im Einzel. Dies war einer ihrer Karriere-Höhepunkte. Ihre grössten Erfolge erreichte sie allesamt auf Granat, der auf einem Auge blind war. Er nahm mit ihr dreimal an Olympischen Spielen teil. In ihrer 33-jährigen Karriere gewann Stückelberger 40 Medaillen. Sie war zehn Mal ununterbrochen Schweizer Meisterin in den Jahren 1970 bis 1979. 1976 war sie Sportlerin des Jahres. In den Jahren 1986, 1989 sowie 1998 holte sie sich den Titel als Schweizer Meisterin abermals. Stückelberger beendete ihre Sportkarriere nach den Olympischen Sommerspielen 2000 in Sydney. Die seit über 40 Jahren im Kanton St.Gallen wohnende Dressurreiterin- und -trainerin ist bis heute die erfolgreichste Schweizer Sportlerin geblieben, die an Olympischen Sommerspielen teilgenommen hat. Ihre 40 Medaillen sind in der Olympiasammlung der privaten Ausstellung von Markus Osterwalder in Herisau zu bestaunen. Dieser plant mit vielen weiteren Exponaten aus dem Olympia-Sport in absehbarer Zeit ein öffentlich zugängliches Museum zu eröffnen.

Erfolge ohne Ende

Olympische Spiele

  • 1972 München: 7. Rang Mannschaft (Granat)

  • 1972 München: 15. Rang Einzel (Granat)

  • 1976 Montreal: Olympiasiegerin Einzel (Granat)

  • 1976 Montreal: Silbermedaille Mannschaft (Granat)

  • 1984 Los Angeles: Silbermedaille Mannschaft (Tansanit)

  • 1984 Los Angeles: 9. Rang Einzel (mit Tansanit)

  • 1988 Seoul: Silbermedaille Mannschaft (Gauguin de Lully)

  • 1988 Seoul: Bronzemedaille Einzel (Gauguin de Lully)

  • 1996 Atlanta: 6. Rang Mannschaft (Aquamarin)

  • 1996 Atlanta: 17. Rang Einzel (Aquamarin)

  • 2000 Sydney: 7. Rang Mannschaft (Aquamarin)

  • 2000 Sydney: 22. Rang Einzel (Aquamarin)

Weltmeisterschaften

  • 1974 Kopenhagen: 3. Rang Mannschaft (Granat)

  • 1978 Goodwood: Weltmeisterin Einzel (Granat)

  • 1978 Goodwood: 2. Rang Mannschaft (Granat)

  • 1982 Lausanne: 2. Rang Einzel (Granat)

  • 1982 Lausanne: 2. Rang Mannschaft (Granat)

  • 1986 Cedar Valley: 2. Rang Einzel (Gauguin de Lully)

  • 1986 Cedar Valley: 3. Rang Mannschaft (Gauguin de Lully)

Europameisterschaften

  • 1973 Aachen: 3. Platz Mannschaft (Granat)

  • 1975 Kiew: 3. Platz Mannschaft (Granat)

  • 1975 Kiew: Europameisterin Einzel (Granat)

  • 1977 St. Gallen: Europameisterin Einzel (Granat)

  • 1977 St. Gallen: 2. Platz Mannschaft (Granat)

  • 1979 Aachen: 2. Platz Einzel (Granat)

  • 1979 Aachen: 3. Platz Mannschaft (Granat)

  • 1981 Laxenburg: 2. Platz Einzel (Granat)

  • 1981 Laxenburg: 2. Platz Mannschaft (Granat)

Highlights

Autor Dani Egger

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Autor/in
Die Ostschweiz

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