Die älteren Semester kennen das Poesieheftli noch. Die Stadtrats-Kampagne für Trudy Cozzio scheint direkt diesem zu entspringen.
Sie ist bestens qualifiziert, kompetent, kennt die Stadt in- und auswendig und gilt als ausgesprochene Sachpolitikerin. Für Trudy Cozzio, CVP-Kandidatin für den St.Galler Stadtrat, spricht eigentlich wirklich alles.
Ausser ihr Wahlplakat.
Zunächst einmal: Schweizerdeutsch? Ernsthaft? Falls das Volksnähe ausstrahlen soll: Das tut die Kandidatin schon zur Genüge. Es wirkt eher handgestrickt und unbeholfen. Bei «Erfahrig» glaubt man beim flüchtigen Hinsehen noch an einen Vertipper. Dann merkt man, dass es System hat. Aber spätestens bei «Listä 3 wählä» fällt einem ein, dass man für den nächsten Kindergeburtstag noch ein Plakat fürs Wohnzimmer malen muss: «Alles Guäti, liäbi Anna!»
Und dann das Herz. Das gezeichnete Herz. Vielleicht wollte man da einfach Platz sparen. Auf den Bannern, die online kursieren, ist das Wort jedenfalls ausgeschrieben. Eine Wohltat. Denn mit dem Herzli erinnert das Ganze eher an einen Eintrag in diesen Freundschaftsbüchern, die wir in der Primarschule kursieren liessen.
Der Wahlclaim? Der läuft unter «Mist, elendiger, es fällt uns echt nichts mehr Neues ein.» Mit «Unsere Stadträtin» kann man nichts falsch machen (auch wenn zuvor schon Dutzende dasselbe Problem hatten und zur selben Lösung gelangt sind). Allerdings heisst es im Fall von Trudy Cozzio natürlich «Üsi Stadtrötin».
Ausserdem nutzt das Plakat vier oder fünf verschiedene Schriften beziehungsweise Schriftformen inklusive einer Art «Handschrift» bei «Stadtrötin». Das allein ist schon eine gestalterische Todsünde. Man weiss gar nicht, wohin man zuerst schauen soll, es ist mehr ein Suchbild als eine klare Führung. Und der Claim verläuft in einem nach oben geschwungenen Balken, der wirkt, als hätte man noch dringend Brüste verdecken müssen. Das Ganze vor einem Pinkviolett, das Augenschmerzen verursacht. Und die Kandidatin selbst wurde sehr unbeholfen freigestellt und vor den Hintergrund des Grauens gesetzt.
Alles in allem: Ein Wahlplakat, bei dem man sich fragt, ob seine Schöpfer wirklich wollen, dass Cozzio gewählt wird. Was ein Jammer ist. Denn wie gesagt: Eine gute Wahl wäre sie. Vielleicht sollte die CVP das nächste Mal bei der SP anklopfen. Die kann das.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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