Am Samstag gibt’s Bescherung. Da tagt die Delegiertenversammlung der Raiffeisen Genossenschaft. Vielleicht zum letzten Mal als Dunkelkammer.
Wohl zum letzten Mal bestimmen 164 Delegierte über das Schicksal der drittgrössten Bank der Schweiz. Sie vertreten nach einer Geheimformel die noch existierenden 229 Einzelbanken, die zusammen mit der Zentrale in St. Gallen diese systemrelevante Bank bilden.
Früher bestimmte im Wesentlichen nur einer: Pierin Vincenz. Der verwandelte einerseits eine Ansammlung von verschnarchten Bauernbanken in die Nummer eins im Hypothekarmarkt, eroberte mit direkt von der Zentrale gelenkten Filialen auch die Grossstädte der Schweiz. Und führte die Bank zu ungeahnten Profitlevels.
Während sich die beiden Schweizer Grossbanken, zusammen mit vielen Kantonal- und Privatbanken, in einen heillosen Steuerstreit mit den USA verstrickten, Milliardenbussen abdrückten und ihre Reputation sowie das Bankgeheimnis in den Ofen schoben, navigierte Vincenz Raiffeisen völlig unbeschädigt durch all diese Stürme.
Als Dank dafür fiel er nach seinem Rücktritt tief, verbrachte mehr als drei Monate in Untersuchungshaft und wartet inzwischen seit fast zwei Jahren darauf, dass vielleicht einmal Anklage wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung erhoben wird. Obwohl es dafür keinerlei stichfeste Indizien gibt, bislang. Und vieles dafür spricht, dass es dann nur zu einer Anklage wegen Spesenbetrugs reichen wird.
Auf jeden Fall hat Raiffeisen schon mal kräftige Abschreiber an Akquisitionen vorgenommen, die in seiner Regentschaft getätigt wurden. Damit will die Genossenschaft verhindern, dass Vincenz und sein Kompagnon noch Millionenforderungen stellen können. Zudem wurde dem Verwaltungsrat von Raiffeisen keine Decharge erteilt.
Die Bankaufsicht FINMA hatte schwere Versäumnisse beim Controlling bemängelt. Wohlgemerkt, nachdem dieselbe FINMA das selbstherrliche Gebaren von Vincenz jahrelang toleriert hatte. Auch für den Samstag ist kein Traktandum Decharge anberaumt; damit will sich die aktuelle Führung vorbehalten, gegen frühere Verwaltungsräte und Mitglieder der Geschäftsleitung Regressansprüche erheben zu können.
Die wichtigste Entscheidung im Rahmen der «Reform 21», die bislang nicht wirklich auf Touren kam, wird ein möglicher Wechsel zu demokratischen Zuständen sein. Konkret: Es ist ein Wechsel von 164 Delegierten auf 229 geplant. Damit hätte dann, wie es in einer Genossenschaft Brauch ist, jede Genossenschaftsbank eine Stimme. Im Unterschied zu einer AG, wo das Prinzip gilt, pro Aktie eine Stimme.
Zudem soll die Zentrale in St. Gallen, die unter Vincenz ein ziemliches Eigenleben entwickelte, zurechtgestutzt werden. Die Gehälter von VR und GL wurden bereits gedeckelt. Welche Dienstleistungen zentral erbracht werden, und was die einzelnen Banken dafür zahlen, wird wohl neu ausgehandelt.
Womöglich werden auch die Stadt-Filialen, die unter Vincenz von St. Gallen geführt wurden, in eigenständige Genossenschaften umgewandelt. Und schliesslich gibt es noch ein wichtiges Thema, bei dem es um Geld geht. Geld ist Macht, und bislang ermächtigten die 229 Banken die Zentrale damit, dass sie ihr Überschusskapital dort deponierten. Damit konnte dann Vincenz auf seine Einkaufstour gehen.
Auch wenn weder der neue VRP Guy Lachappelle noch der neue CEO Heinz Huber den Eindruck erwecken, zu unternehmerischen Grosstaten fähig zu sein, wollen die deponierenden Banken mehr Mitsprache haben. Glücklicherweise ist hingegen die Anregung der FINMA, Raiffeisen in eine AG zu verwandeln, kein Thema mehr.
Mit den kräftigen Abschreibern will die neue Führung, die bislang auch nicht durch grosse Taten auffiel, nicht nur allfällige Ansprüche von Vincenz unterlaufen. Sondern sie verwendet einen altbekannten Kniff. Wenn man neu ans Gerät geht, muss man lautstark über die Zustände schimpfen, die die Vorgänger hinterliessen. Dann kräftig abschreiben. Denn dann kann man seinen ersten Leistungsausweis als Erfolg beklatschen. Auch wenn’s keiner war.
Denn obwohl aus der Ära Vincenz und Gisel noch Themen zum Aufarbeiten vorhanden sind: Letztes Jahr konnte der damalige CEO Patrik Gisel den grössten Jahresgewinn aller Zeiten verkünden. Bevor auch er mit einer Medienkampagne aus dem Amt gemobbt wurde.
Also ist zu hoffen, dass bei Raiffeisen nicht nur mehr Demokratie Einzug hält. Sondern dass auf der Führungsetage den Chefs auch ein stärkeres Rückgrat wächst. Das werden sie sowieso brauchen, wenn sie den Stellenabbau in St. Gallen wie geplant durchziehen wollen.
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