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Analyse

Raiffeisens Zukunft: Kommt das gut?

Ein Rüffel von der Bankenaufsicht FINMA. Und aus der Chefetage sickern merkwürdige Pläne. Hat die drittgrösste Bank der Schweiz nur etwas Husten? Oder gar eine Grippe?

«Die Ostschweiz» Archiv am 01. März 2020

Es gibt in der Schweiz fünf Banken, die als «too big to fail» angesehen werden. Das heisst, ihre Bedeutung für die gesamte Wirtschaft sei so gross, dass sie – wie weiland die UBS – mit Staatshilfe rechnen können, wenn sie ins Straucheln geraten.

Damit die Eidgenossenschaft, und damit der Steuerzahler, nicht nochmal 60 Milliarden Franken ins Feuer stellen muss, haben diese Banken einen Notfallplan zu erstellen, wie sie auch in einer Krise ihre wichtigsten Funktionen, Zahlungsverkehr sowie Kreditgeschäft, weiterführen. Und im äussersten Fall abgewickelt werden können, ohne dass die Schweiz zusammenbricht.

UBS, Credit Suisse, Raiffeisen, Postfinance und die Zürcher Kantonalbank (ZKB) wissen bereits seit 2013, dass sie dafür die Voraussetzungen schaffen müssen. Nun hat die FINMA überprüft, wie plausibel und umsetzbar ihre Notfallpläne sind. Und kam zu einem ernüchternden Ergebnis. Während die beiden Grossbanken die Prüfung bestanden sind Raiffeisen, Postfinance und ZKB durchgefallen. Peinlich.

Postfinance verteidigt sich mit dem Argument, dass das Verbot, Kredite und Hypotheken zu vergeben, es ihr unmöglich mache, den geforderten Liquiditätspuffer aufzubauen. ZKB sagt, dass sie die Liquiditätsvorgaben der FINMA im Verlauf dieses Jahres erfüllen wird. Und Raiffeisen? Die wirft sich in den Staub und meint, sie könne die Einschätzung der FINMA «nachvollziehen». Sie werde bis Mitte Jahr einen überarbeiteten Notfallplan vorlegen. Wohl nach der Devise: Geht Plan A nicht, dann probieren wir doch mal Plan B.

Man fragt sich, was denn die neue Bankführung seit dem turbulenten Ende der Ära Vincenz eigentlich die ganze Zeit gemacht hat. Denn das Ungenügen bei der Notfallplanung einzuräumen, angesichts der Tatsache, dass die Kriterien schon längst bekannt waren, das ist ungefähr so beruhigend wie die Aussage: Was, schon wieder Monatsende mit Zahlungsterminen? Das springt einen aber auch völlig überraschend aus dem Hinterhalt an.

Wenn die Informationen stimmen, die aus der Teppichetage der Bank am Roten Platz in St. Gallen dringen, haben sich die Führungskräfte tatsächlich Gedanken über die Zukunft gemacht. Vielleicht nur nicht die naheliegenden wie die Erstellung eines akzeptablen Notfallplans. Und vielleicht auch nicht die richtigen. Denn wie der «Tages-Anzeiger» in Erfahrung gebracht haben will, denkt das Führungsduo Guy Lachappelle als VR-Präsident und CEO Heinz Huber darüber nach, das Allfinanzmodell aus der Versenkung zu holen, abzustauben und als neu zu verkaufen.

Allfinanz bedeutet, dass Raiffeisen ein Rundum-Dienstleister im Sektor Haus und Wohnen werden will. Also konkret nicht nur Hypotheken, sondern auch Häuser und Versicherungen verkaufen. Das würde auch bedeuten, die Kooperation mit Helvetia nach 20 Jahren in der bisherigen Form zu beenden. Und eigene Versicherungen, wie zum Beispiel Hausrat, zu entwickeln. Oder zusammen mit einem neuen Partner.

Das ist nichts Neues. Der Letzte, der diese Idee hatte, hiess Lukas Mühlemann. Der kam von der Beraterbude McKinsey und kletterte über die Schweizer Rückversicherung auf den Posten des CEO und dann des VR-Präsidenten der Credit Suisse. Die Wirtschaftspresse schwärmte wieder einmal von einem jungen Shootingstar, der jetzt dann die ganz grossen Räder drehen werde.

Mühlemann machte 1995 mit dem markigen Beraterspruch Furore, dass man doch nicht eine Kuh kaufen müsse, wenn man nur ein Glas Milch wolle. Aber was interessiert einen McKinsey-Mann sein Geschwätz von gestern. Nur ein Jahr später kaufte die CS dann die Kuh namens Winterthur Versicherungen. Allfinanz, alles aus einer Hand, gesamtheitlich, neue Dimension, die Zukunft, so macht man das.

Nur vier Jahre später hielt die NZZ fest, dass diese Allfinanz-Strategie «grandios gescheitert» war. Nebenbei hatte Mühlemann seine unternehmerische Unfähigkeit auch als VR der Swissair unter Beweis gestellt, unnachahmlich porträtiert im Film «Grounding», wo der Filmcharakter fassungslos fragt: Was, wir haben kein Geld mehr in der Kasse? Das war dann das Ende der Karriere dieses Shootingstars. Seither kümmert er sich um sein eigenes Vermögen und geriet nur 2008 nochmal in die Schlagzeilen, als Argentinien einen Haftbefehl gegen ihn ausstellte. Er soll zusammen mit der US-Bank JP Morgan Chase für die Vernichtung von rund 400 Millionen Franken an Spargroschen verantwortlich sein.

Natürlich wiederholt sich die Geschichte nicht einfach so. Aber nehmen wir mal folgendes Szenario. Der Corona-Virus verursacht nicht nur menschliches Leid, sondern greift auch auf die Finanzmärkte über. Die allgemeine Verunsicherung führt zu einem Anstieg des allgemeinen Zinsniveaus. Das hätte insbesondere in der Schweiz mit dem höchsten Negativ-Leitzins weltweit eher explosive Auswirkungen auf den Hypothekarmarkt. Auf dem Raiffeisen die Nummer eins in der Schweiz ist, dank aggressivem Wachstumskurs.

Dann würde die übliche Spirale einsetzen; Besitzer von Immobilien können die Zinsen nicht mehr tragen, durch Zwangsverkäufe sinken die Preise, weitere Immobilienbesitzer können den Nachschuss nicht leisten, den die Bank fordert, weil das beliehene Objekt an Wert verloren hat, und so weiter. Das könnte eine Bank treffen, die ihre Notfallplanung nicht wie längst gefordert auf die Reihe gekriegt hat.

Mit Triumphgeheul verkündete Raiffeisen heute einen deutlich gesteigerten Gewinn. Aber alles ist relativ im Leben. Über 50 Prozent mehr Gewinn, diese Schlagzeile wollte die Bank lesen, und die bekam sie. Allerdings: Das ist im Vergleich zu 2018. Und in diesem Jahr machte die Bank Abschreibungen und Rückstellungen wie wild. Eine uralte Masche, um dann im nächsten Jahr als strahlender Sieger dazustehen. So sind die ausgewiesenen 835 Millionen nur das zweitbeste Ergebnis in letzter Zeit. Das beste präsentierte Patrick Gisel, der Nachfolger von Vincenz. Aber das interessierte damals nicht wirklich.

Ansonsten ist Raiffeisen eine Bank, deren Führungspersonal sich bislang, nun, sagen wir unauffällig verhalten hat. Aber nun, wenn der Bericht des «Tages-Anzeiger» zutrifft, die Idee der Allfinanz-Bank wieder aus der Mottenkiste ziehen will. Mit der schon der grosse Bankenlenker Mühlemann bei der Grossbank Credit Suisse krachend scheiterte. Was die CS schwer ins Schlingern brachte, während die fliegende Bank Swissair ungespitzt in den Boden gewirtschaftet wurde.

Vielleicht wäre es an der Zeit, dass die vielen Besitzer von Raiffeisen, die Genossenschafter, mal im Kleingedruckten nachschauen, bis zu welcher Höhe sie allenfalls für Verbindlichkeiten in die Gewähr genommen werden. Noch sinnvoller wäre allerdings, wenn solche Pläne, sollten sie existieren, auf den Tisch gelegt und breit diskutiert würden. Als Einstimmung, wie es aussieht, wenn Manager oberhalb ihrer Liga spielen wollen, könnte man doch kollektiv «Grounding» nochmal anschauen.

Auf jeden Fall hat die übliche Nummer, «wir müssen zunächst das Schlamassel aufräumen, das unsere Vorgänger hinterlassen haben», ihre Halbwertszeit längst überschritten.

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«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.

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