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Gastbeitrag

Reden wir über Impfzwang

Was mich an diesem Thema am meisten ärgert ist, dass die folgenden Zeilen überhaupt notwendig sind. Denn die nachstehenden Aussagen sind an sich so trivial, dass man sie eigentlich niemandem in Erinnerung rufen müsste. – Ein Gastbeitrag von Olaf Hermann.

Olaf Hermann am 05. Oktober 2021

Dass sie dennoch notwendig scheinen zeigt, in welch alarmierendem Zustand sich unsere Gesellschaft befindet.

Wenn ich in Diskussionen vernehme, die Impfung sei ja freiwillig, dann frage ich mich, welche Auffassung von Zwang Vertreter dieser Meinung haben – ob in ihrem Sinne erst dann von Zwang geredet werden soll, wenn physische Gewalt angedroht wird.

Zwang liegt immer dann vor, wenn «Schmerz» als Mittel angedroht oder verursacht wird, um eine gewünschte Handlung herbeizuführen. Und hier ist nicht, respektive nur in extremen Fällen, der physische Schmerz gemeint. Die Schmerzschwelle ist immer individuell und variiert in Abhängigkeit der Stufe, in der sich eine Gesellschaft oder ein Individuum in der Pyramide zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse einreiht. Ein wichtiges Individualbedürfnis kann dabei auch die Verteidigung eigener Grundsätze sein. Ganz überspitzt formuliert heisst dies: Drohe in einer hoch entwickelten Gesellschaft einem leidenschaftlichen Dichter den Bleistift wegzunehmen, und er wird alles tun, um diesen behalten zu dürfen. Seine Schmerzschwelle ist äusserst tief. Umgekehrt wird man einen Minenarbeiter in einem Drittweltland kaum mit dem potentiellen Wegfall seiner Schreibutensilien beeindrucken können.

Unter dieser Betrachtungsweise und nur unter dieser, kann die Frage nach Zwang beantwortet werden.

Die Schweiz ist zweifellos ein hoch entwickeltes Land, mit einer tendenziell tiefen Schmerzschwelle. Dies zeigt sich daran, dass eine relativ grosse Gruppe von zuvor impfkritischen Personen sich bereits bei verweigerten Restaurant-, Kino- und Fitnesscenter-Besuchen zur gewünschten Handlung bewegen liessen. Viele behaupten nun, dass die Verweigerung eines Restaurantbesuches lediglich eine Komforteinbusse sei und noch nichts mit Zwangsmassnahmen zu tun habe. Diese Sichtweise ist falsch. Ansonsten hätte sich diese Gruppe bereits früher, zusammen mit den Freiwilligen impfen lassen. Ganz offensichtlich reichte der Schmerz dieser Komforteinbusse bereits aus, um die Betroffenen zur gewünschten Handlung zu nötigen. Wichtig ist hier: Diese Gruppe wird hier in keiner Weise verurteilt, es wird lediglich festgestellt. Egal wie hoch oder tief die Schmerzgrenze eines jeden Einzelnen ist, sie ist als Tatsache zu respektieren und wenn sie verletzt wird, handelt es sich um Zwang.

Andere lassen sich durch diese Einschränkungen noch nicht sonderlich beeindrucken. Und genau für diese Gruppe der etwas «renitenteren» Zeitgenossen überlässt es der Bundesrat, selbstverständlich «freiwillig», den Arbeitgebern und Bildungseinrichtungen, ob sie eine Zertifikatspflicht einführen wollen oder nicht. Ob und wann diese umgesetzt wird, wird entweder hinter den Kulissen entschieden oder dem Zufall überlassen, indem man darauf vertrauen kann, dass mit fortschreitender Zeit immer mehr Institute diesen Schritt wählen. Diese äusserst perfide Methode sorgt dafür, dass es im Laufe der Zeit auch für immer mehr Individuen mit höherer Schmerzschwelle ans Eingemachte gehen wird.

Dazu kommt noch die gesellschaftliche Ausgrenzung, denn alle impfkritischen Personen sind dauernd einem Erklärungszwang gegenüber der Mehrheit ausgeliefert. Auf der Arbeit, in der Familie, im Freundeskreis, etc.. Ja, auch dies erzeugt für manche Personen Schmerz, der so hoch sein kann, dass sie zu Handlungen bereit sind, die sie nicht vollziehen möchten. Ganz profan nennt man dies Gruppendruck.

Entlarvend kommt hinzu, dass die mit dem Zertifikat verbundenen Massnahmen Ansteckungen gar nicht verhindern können. Denn die Geimpften können sowohl selber krank werden, als auch den Virus verbreiten, müssen aber im Gegensatz zu den Ungeimpften nicht mit einem PCR-Test beweisen, dass sie nicht ansteckend sind. Allein dieser Umstand macht es schon deutlich, dass die mit dem Zertifikat verbundenen Massnahmen vor allem dem Zwang dienen.

Alle, die an dieser Stelle des Textes in der Impfung immer noch eine Freiwilligkeit sehen, lade ich gerne ein, einem Swiss-Mitarbeiter mitzuteilen, dass sein drohender Jobverlust freiwillig ist, da er sich ja impfen lassen könne. Auch die Studentin, die vor der Entscheidung steht, ihr Studium abbrechen zu müssen, ist sicher gespannt auf die Argumente, welche die Freiwilligkeit untermauern. Und ein mir bekannter Unternehmer hätte gerne einen Ausweg aus folgendem Dilemma: Ein Grosskunde von ihm aus dem öffentlich rechtlichen Sektor verlangt von all seinen bei ihm im Haus tätigen Lieferanten ein Zertifikat. Welche Entscheidung soll der Unternehmer treffen, der sich eigentlich nicht in die privaten Impfangelegenheiten seiner Mitarbeiter einmischen will?

Dies sind nur einige Beispiele, aber diese genügen, um zu sehen, wohin die Reise führt: Über ein vom Bundesrat herausgegebenes ausgeklügeltes Regelwerk von «freiwilligen» Massnahmen, die ihre Wirkung in einem grossen Netzwerk von freiwilligen oder unfreiwilligen Teilnehmern entfalten, wird der Druck dediziert und laufend erhöht. Es wird nicht gestoppt, bis der Bundesrat an der kommenden Abstimmung deutlich in die Schranken gewiesen wird oder er sein Ziel erreicht hat.

Da tröstet auch der Umstand nicht darüber hinweg, dass man gewisse Fälle (noch) mit einem Test lösen kann, der die Betroffenen je nach Bedarf und persönlicher Situation in (finanzielle) Nöte bringt.

Auch der Vergleich mit anderen Ländern, verbunden mit der relativierenden Aussage, dass in anderen Ländern viel strengere Massnahmen gelten, ist in Anbetracht des bisher Gesagten fehl am Platz. Die Schmerzschwelle ist für jede Gesellschaft und innerhalb dieser Gesellschaft für jeden Einzelnen individuell. Die Massnahmen sind deshalb gar nicht mit anderen Ländern und Kulturen vergleichbar. Wenn überhaupt, dann sind nur die Wirkungen in Bezug auf die gewünschten Zielsetzungen vergleichbar.

In Anbetracht all des Gesagten muss sich unsere Landesregierung eindeutig den Vorwurf der Heuchelei gefallen lassen. Ich wüsste nicht, wie sie diesen entkräften könnte. Mit ihren bisherigen Handlungen gelingt es ihr auf jeden Fall nicht. Im Gegenteil, mit der fünfzig Franken Belohnung gibt sich der Bundesrat sogar noch der Lächerlichkeit preis.

Die folgenden zwei Abschnitte sind den Journalisten gewidmet:

Die meisten Journalisten, die sich diesem Thema annehmen, tragen nicht dazu bei, die Thematik frei von Ideologie darzustellen. Nur sehr wenige reden von Zwang – und wenn überhaupt dann sehr zaghaft, indem sie beispielsweise von «Zwang durch die Hintertür» sprechen. Hier plädiere ich für deutlich mehr Mut, das Kind beim Namen zu nennen und den Zwang entschieden zu verurteilen.

Aus einem ansonsten liberalen Mund, dessen Meinung und Analysen ich grundsätzlich sehr schätze, hörte ich vor kurzen die Aussage, dass die Zertifikatspflicht am Arbeitsplatz nicht eine Entscheidung des Bundesrates, sondern allenfalls eine Entscheidung der Firma sein soll und dass es ihre «Art ist, wie sie ihre Mitarbeiter führen». Wie bitte? Welchen Unterschied spielt es für die Direktbetroffenen, ob der Zwang nun vom Arbeitgeber oder vom Bundesrat ausgeübt wird? Und seit wann heisst Unternehmensführung, dass man sich in die Privatangelegenheiten der Mitarbeiter einmischt? Schlussendlich impliziert diese Sichtweise, dass man wichtige gesellschaftliche Entscheidungen über den Einzelnen nur einer kleinen Kaste von Privilegierten zugesteht. Dies ist alles andere als liberal!

Übrigens, es ist für die Geimpften nicht verboten, die Stimme für die direkt Betroffenen zu erheben, die vor wirklich schwere Entscheidungen gestellt werden – ich betone nochmals, die Schmerzschwelle ist individuell und dies muss akzeptiert werden.

Wo sind eigentlich alle #Hashtag-Empörten, die bei Vergessen eines Gendersterns sofort «Diskriminierung» auf allen Kanälen rufen? Wo sind die Verantwortlichen der Konzernverantwortungsinitiative, die sehr wohl wissen, dass sich die Impfstoffhersteller in ihren Verträgen mit den Regierungen jegliche Verantwortung wegbedungen haben? Dies wäre geradezu ein Paradebeispiel für ihre Sache. Wo sind eigentlich die Gewerkschaften? Ich habe kürzlich vernommen, dass die Kasse der Unia übervoll ist. Damit liesse sich doch ein Prozess finanzieren, um zumindest Klarheit darüber zu bekommen, wo die Justiz steht. Ob diese im Sinne der Gewaltentrennung überhaupt noch gewillt ist, für die entsprechende Balance zu sorgen. In anderen Fällen scheut sich das Bundesgericht schliesslich auch nicht vor Rechtsprechung. Gemäss zahlreichen Juristen und Richtern ist die Sachlage durchaus nicht so klar, wie es der Bundesrat und die folgsamen Arbeitgeber und Bildungsstätten gerne hätten. Dies bedingt aber auch, dass ein direkt Betroffener sein Schicksal selber in die Hand nimmt und eine Klage gegen seinen Arbeitgeber anstrengt.

Zum Abschluss ein Wort an alle, die bisher von Freiwilligkeit ausgegangen sind. Ich bitte Sie, Ihre Position unter Berücksichtigung des bisher Gesagten zu überdenken. Vielleicht kommen Sie in Zukunft bei einem völlig anderen Thema selber einmal in die Lage, in der Sie zu einer Handlung genötigt werden. Ich versichere Ihnen, Sie werden dann für sich selber genau die Argumente anführen, die hier genannt wurden. Es ist deshalb fair, diese auch den aktuell Genötigten zuzugestehen und deren Rechte nicht nur zu akzeptieren, sondern auch zu verteidigen – in Ihrem eigenen Interesse.

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Autor/in
Olaf Hermann

Olaf Hermann hat nach seinem Studium der Elektrotechnik an der ETH Zürich für einige Jahre mathematische Modelle für industrielle Prozesse entwickelt. Danach hat er in der Finanzdienstleistungsbranche mehrere Unternehmen gegründet, (mit)aufgebaut sowie operativ geführt.

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