Vor einem Jahr war die Schweiz in violett gekleidet. Eine halbe Million Menschen verlangten endlich mehr Respekt, mehr Lohn, mehr Zeit. Diese Woche haben wir im Nationalrat eine aktuelle Debatte zum Thema «Gleichstellung und Vereinbarkeit – Lehren aus der Coronakrise ziehen» geführt.
Ein Jahr später sind wir kaum weiter. Eine lasche gesetzliche Umsetzung der Gleichstellungsgesetze und eine bessere Vertretung der Frauen im nationalen Parlament ist alles, was erreicht wurde.
Die Corona-Pandemie hat eines gezeigt: Es sind vor allem Berufe mit einem hohen Frauenanteil, die tatsächlich systemrelevant sind: Verkäuferinnen im Detailhandel konnten sich nicht ins sichere Homeoffice zurückziehen, ebenso wenig wie Frauen in der Reinigung, Bildung und Kinderbetreuung, in der Pflege, im Sozialbereich.
Ihnen allen gebührt nicht nur Applaus und Dank, sondern Anerkennung, angemessene Löhne und mehr soziale Sicherheit auch im Alter, zum Beispiel mit einer Anrechnung der unbezahlten Care-Arbeit bei Altersrenten. Denn ihre Altersrenten sind 60% tiefer als die der Männer. Mit der Folge, dass viele Frauen auf Ergänzungsleistungen angewiesen sind.
Es ist absolut inakzeptabel, dass nun auch wieder genau diese Frauen* die Zeche bezahlen sollen. Zwei Beispiele: Während in den Covid-Stationen das Arbeitsgesetz ausgesetzt wurde, 13-Stunden-Schichten gebolzt wurden und das Leben aus Arbeiten, Essen, Schlafen, Arbeiten bestand, fuhren Pflegende* ausserhalb der Covid-Stationen Minusstunden ein, da ihre Stationen stillgelegt waren. Nun wird tatsächlich von ihnen verlangt, sie müssten die Minusstunden nacharbeiten.
Das ist absolut unverständlich. Reinigungskräfte in Privathaushalten sind meist Frauen. Viele von ihnen konnten nicht von Kurzarbeitsentschädigungen oder EO profitieren. Viele leben zudem in ungesicherten Verhältnissen ohne geregelten Aufenthaltsstatus. Eine Regularisierung von Sans-Papiers und Zugang zu Sozialhilfe ohne Angst vor Bewilligungsverlust, sind zentral.
Die Forderungen des Frauenstreiks sind noch lange nicht umgesetzt. Und solange das nicht der Fall ist, braucht es weiter den Druck von der Strasse. Mein Beitrag als Nationalrätin ist der konsequente politische Einsatz für Frauenanliegen, bis die echte Gleichstellung Realität ist.
Respekt, mehr Lohn, mehr Zeit! Jetzt erst recht!
Barbara Gysi (1964) vertritt die St.Galler SP seit 2011 im Nationalrat. Dort ist sie zurzeit Präsidentin der Sozial- und Gesundheitskommission. Sie lebt in Wil.
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