Nein, das ist kein neues Kinderlied, sondern die schamlose Schamerweiterung unserer Gesellschaft, die mittlerweile keine Schamgrenze mehr kennen will.
Angefangen hat alles mit der Flugscham. «Was, Sie fliegen noch?» – «Nein, nein, wir verzichten auf einen von vier Urlaubsflügen und fahren im Sommer nach Sizilien mit dem Auto.»
Dann erweiterte sich die Schamgegend auf unser Lieblingsfortbewegungsmittel: «Was, Sie fahren noch SUV?» – «Nein, nein, wir bringen die Kinder jetzt mit unserem BMW in die Schule.»
Primarlehrer forcierten den Trend mit Konjugationsübungen, damit jeder das richtige grammatikalische Schamgefühl bekommt: «Ich schäme mich, du schämst dich, er/sie/es schämt sich…» - «Und du, Kevin, schämst du dich?» – «Nein, nein, muss ich nicht, mein Vater ist Banker.»
Die neue Scham kennt keine Grenzen mehr. Schweizer Doppelbürger sollen sich endlich entscheiden, was sie denn wirklich sind: «Giovanni, bist du jetzt Schweizer oder Italiener?» – «No, no, ich bin ganz tief in meinem Herzen Svizzero.»
Scham nimmt sich alles vor.
Bauen ist auch eine Scham, weil die natürliche Umwelt dadurch zerstört wird. «Afra, willst du wirklich weiterhin unter einem Dach schlafen?» – «Nein, nein, ich gehe freiwillig zurück nach Syrien in ein Flüchtlingszelt.»
Scham nimmt sich selbst die intimsten menschlichen Bereiche vor. Wenn wir alle unsere Schamhaare abschneiden und in die Verbrennungsanlage geben würden, könnte damit die Energie für sechs Tage für ganz Davos gewonnen werden.
Und noch intimer geht es dann wirklich nicht mehr: wenn wir alle Schamlippen… (die nächsten sechs Sätze wurden von der Redaktion gestrichen, obwohl es eine gute Idee ist.)
Möge Ihnen die Schamröte ins Gesicht steigen!
Wolf Buchinger (*1943) studierte an der Universität Saarbrücken Germanistik und Geografie. Er arbeitete 25 Jahre als Sekundarlehrer in St. Gallen und im Pestalozzidorf Trogen. Seit 1994 ist er als Coach und Kommunikationstrainer im Management tätig. Sein literarisches Werk umfasst Kurzgeschichten, Gedichte, Romane, Fachbücher und Theaterstücke. Er wohnt in Erlen (TG).
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