Eine neuerliche Wortmeldung der fabulösen Wissenschafts-Eingreiftruppe unter Prof. Ackermann? Nein, es gibt ja auch noch die Gesellschaft für Intensivmedizin.
Die SGI ist eine hochwohllöbliche Vereinigung. Sie arbeitet seit 1972 daran, «eine qualitativ hochwertige Intensivmedizin, bei der die Menschen im Mittelpunkt stehen und die verständnisvoll, nachhaltig und fu?r die Bevölkerung sichtbar und verständlich ist», zu fördern.
Das ist ehrenvoll, man könnte fast versucht sein, sich nach einer Möglichkeit zu erkundigen, wie man diese Gesellschaft für Intensivmedizin unterstützen könnte. Allerdings gibt es da etwas, was einen von diesem Gedanken definitiv abbringt.
Denn die Wissenshafts-Task-Force gönnt der Bevölkerung eine Pause. Sie wiederholt nicht ihre Hiobsbotschaft: in zwei Wochen, in drei Tagen, in sieben Tagen ist es soweit. Alle Intensivbetten sind belegt, arme Ärzte müssen eine Triage machen, wer überlebt, wer muss sterben. Furchtbar.
Diese kurze Pause nützt nun die SGI, um sich auch ein Stück Aufmerksamkeit abzuschneiden. Das kommt in aller gebotenen Zürückhaltung einer Ärztevereinigung als «Stellungnahme» daher. Auch die SGI hat sich angewöhnt, auf ihrer Webseite eine Kategorie «Covid-19» zu eröffnen.
Schon die Einleitung ist unheilsschwanger: die Infektionen nähmen wieder zu, die SGI nehme «die Lage aufgrund der bisherigen Erfahrungen ernst». Und seit dem 17. November ist die Lage wieder sehr, sehr ernst:
«Vollständige Auslastung der Intensivbettenkapazitäten.»
Au weia, nun ist es doch soweit, die Katastrophe, vor der auch die Task Force unermüdlich gewarnt hatte, ist eingetroffen. Alles voll, vor verschlossenen Türen wird entschieden, wer überleben darf, wer sterben muss. Ein Bett wird nur dann frei, wenn der Patient geheilt oder tot ist. Das Ende ist nahe.
Ist das so? Das ist natürlich nicht so. Schon im Titel, was hier weggelassen wurde, ist von den «zertifizierten und anerkannten» Betten die Rede. Das schrumpft dann schon im ersten Absatz zusammen:
«Die 876 von der SGI zertifizierten und anerkannten Intensivbetten, die in der Schweiz normalerweise zur Behandlung Erwachsener zur Verfügung stehen, sind aktuell praktisch vollständig belegt.»
Das muss man abschmecken. Zunächst einmal sind sie «praktisch vollständig belegt». Was heisst denn das? Zwischen «Sie sind tot» und «Sie sind praktisch tot» klafft auch ein kleiner Unterschied. Also sind sie nicht «vollständig ausgelastet».
Aber das ist noch nicht alles. Woher hat die SGI diese Zahlen? Erhebt sie sie selbst? Ach was, dafür gibt es doch den Koordinierten Sanitätsdienst (KSD). Ja, genau den, der kürzlich Schlagzeilen machte, weil genau diese Zahlen ohne Begründung von seiner Webseite verschwunden waren.
Das ist noch nicht alles. Wieso 876 Betten? Normalerweise ist auch offiziell von über 1000 die Rede. Jaha, das mag ja sein, aber die sind nicht alle von der SGI anerkannt. Ds ist ein bedeutender Unterschied. So ein Intensivstationbett kann zwar blöd rumstehen, vielleicht sogar mit einem Patienten drin. Aber wenn es nicht anerkannt ist, existiert es nicht.
Ist das alles? Aber nein. Schon im April, genauer am Karfreitag, machte sich die SGI lächerlich, indem sie die österlich gestimmte Bevölkerung damit erschreckte, dass praktisch 98 Prozent aller Intensivbetten belegt seien. Es fehlten also nur noch etwas mehr als ein Dutzend, und dann Notstand, Katastrophe, furchtbar.
Da musste das Bundesamt für Gesundheit eingreifen und richtigstellen, dass erstens die Bettenkapazität auf über 1600 erhöht wurde und daher über die Hälfte noch frei sei. Die SGI räumte damals zähneknirschend ein, dass sie natürlich nur die von ihr anerkannten zähle.
Das gab dann im April ein ziemlich Gebrüll, unverantwortlich, Panikmache, unseriös, die SGI musste beinahe selbst auf die Intensivstation, so wurde sie geprügelt.
Was draus gelernt? Ach wo, in der Hoffnung auf da Kurzzeitgedächtnis der Bevölkerung dachte die SGI, im November können wir es doch nochmal probieren. Man kann nur hoffen, dass die in dieser Gesellschaft versammelten Ärzte in der Behandlung kompetenter sind als in den Stellungnahmen.
Sonst werden nämlich schnell viele Betten frei, weil die Patienten durch mangelhafte Behandlung wegsterben wie die Fliegen.
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