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René Zeyer

Sinnvoll schenken

Oft sind es die einfachen Fragen, die zu guten Büchern führen. Joseph Jung fragte sich: Wie wurde aus der Räuberhöhle Schweiz ein beneidenswerter Ort?

«Die Ostschweiz» Archiv am 23. Dezember 2019

Man kann auf die kommenden Festtage hin nichts verschenken. Das ist lobenswert. Man kann auch etwas Sinnvolles schenken. Das ist besser, und während die meisten Schweizer im Wohlstand schwelgen, könnte man sich die Frage stellen: wieso eigentlich?

Beantwortet wird das in einem ziemlich dicken Wälzer. Aber keine Angst, der Autor hat vier Erzählstränge aufgebaut, die man unabhängig voneinander und in beliebiger Reigenfolge lesen kann.

«Das Laboratorium des Fortschritts» hat Joseph Jung seine Untersuchung der Schweiz im 19. Jahrhundert genannt. Auf 676 Seiten geht er der Frage auf den Grund, wie aus einem mausarmen Auswanderungsland eine bedeutende Wirtschaftsmacht werden konnte.

Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die Beschreibungen der Schweiz nicht gerade schmeichelhaft. Der Historiker Jung zitiert Badens Aussenminister, der 1836 sagte, die Schweiz sei ein Krebsschaden, der an der Ruhe Deutschlands nage. Noch unfreundlicher nannte ein österreichischer Spitzel die Eidgenossenschaft die «cloaca magna von Europa».

Aber schon 1864 meinte ein bayerischer Diplomat: «Man kann gewiss sagen, dass die kleine Schweiz einer der grössten Industriestaaten der Welt ist.» Ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht, in historisch gesehen kürzester Zeit. Wie das?

Konstituierend für diese rasante Entwicklung war der Sonderbundskrieg. Oder anders gesagt: die siegreiche bürgerliche Revolution, die in einer ersten liberalen Verfassung von 1848 kumulierte. Damit stand die Schweiz in Kontinentaleuropa einsam da, überall sonst endeten die Versuche, Feudalsysteme durch wirtschaftsfreundliche liberale Gesellschaftsstrukturen zu ersetzen, mit Niederlagen. Kleinstaaterei wie in Deutschland oder Italien, immer wieder aufflackernde kriegerische Auseinandersetzungen beherrschten das übrige Europa.

Ausser in der Schweiz. Der Sonderbundskrieg war die letzte militärische Auseinandersetzung, bis heute. Schon alleine das ist weltweit einmalig. Nicht mehr Schweizer aus verarmten Bergregionen wanderten aus, sondern tausende von Liberalen flüchteten in die Schweiz, der neu formierte Bundesstaat war eine republikanische Insel, umgeben von Monarchien, schreibt Jung.

Kommunikation, Transport, Industrialisierung, Innovationen; Figuren wie Alfred Escher stehen sinnbildlich für die explosive Verwandlung eines untereinander zerstrittenen, jedem Fortschritt abholden Fleckenteppichs von Kantonen in einen modernen Bundesstaat. Der die politische Voraussetzung für eine rasante Entwicklung der Wirtschaft war.

Blendend informiert erzählt sich Jung durch diese Schweizer Erfolgsgeschichte, dazu ist das Buch umfangreich und interessant illustriert mit aus der Zeit stammenden Gemälden und Fotografien.

Natürlich war nicht alles hausgemacht, das übliche Quentchen Glück gehörte auch dazu. Beispielsweise in Form des Bergtourismus, der von den Engländern populär gemacht wurde und für viele vorher mausarme Bergtäler bedeutete, dass luxuriöse Hotels, Arbeitsplätze, Wohlstand Einzug hielten. Das republikanische Inseldasein zwang die Schweiz schon früh, eine behutsame Aussenpolitik unter Betonung der eigenen Neutralität zu führen.

Was Befürwortern des Eintritts in die EU überhaupt nicht schmecken wird: Das Alleinstellungsmerkmal einer neutralen, unabhängigen, demokratischen und friedlichen Schweiz hatte wesentlichen Anteil an der Verwandlung eines rohstoffarmen bergigen Kleinstaats in eine Insel des Wohlbefindens.

Wer also 49 Franken sinnvoll ausgeben will, sollte sich dieses Buch gönnen. Denn um zu wissen, wo es hingehen soll, ist es unabdingbar, dass man weiss, wo man herkommt.

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«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.

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