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Ein Kommentar zu einem Kommentar

Sitzt der Chefredaktor mit dem Regenschirm in die Gartenbeiz?

In seinem Samstags-Kommentar fordert Tagblatt-Chefredaktor Stefan Schmid die Gastronomen auf, mit Jammern aufzuhören. Wir fragen uns da: Hat Schmid den Ernst der Lage nicht begriffen?

Marcel Baumgartner am 24. April 2021

Vor wenigen Tagen flatterte die Rechnung für das Abo des «Tagblatt» ins Haus. Stolze 542 Franken bezahlt man mittlerweile für eine immer dünner werdende Zeitung. Aber hey, das digitale Angebot ist da schliesslich auch dabei. Also aufhören zu jammern und auch die erneute Erhöhung von 20 Franken bitte akzeptieren. Denn schliesslich, so verkündet Chefredaktor Stefan Schmid in einem Begleitbrief, hat guter Journalismus seinen Preis. Einen inzwischen ziemlich stolzen, wie wir finden.

Wofür man die 542 Franken bezahlt? Für Interviews, für Recherchen, für regionale und nationale Berichterstattung, für Einschätzungen und für Kommentare. Einen solchen – «zur coronageplagten Gastrobranche» – publiziert Schmid in der heutigen Samstagsausgabe. Und er dürfte sich beim Verfassen durchaus bewusst gewesen sein, dass er sich damit einige Feinde machen wird.

«Liebe Gastronomen, es ist dann mal gut mit Jammern», so der Titel des besagten Artikels auf Seite 6.

Schmid hält anfangs zwar noch fest, dass – «Keine Frage» – die Zeiten schwierig seien für das Gastgewerbe. Doch im Grundsatz könne der Bundesrat inzwischen beschliessen was er wolle: Den Gastronomen passe das sowieso nicht. Schmid zieht den Vergleich mit dem Ausland, wo es der Branche noch dreckiger geht – keine Frage. Den Betrieben aber werde hier unbürokratisch und rasch geholfen. Und hey: Die Terrassen sind – keine Frage – endlich wieder offen. Für Schmid ein Grund, dass die Gastronomen endlich wieder das Positive sehen können – nein, sollen. «Der Frühling ist da, die Terrassen sind offen – und voll mit Menschen…» Jammern sei da fehl am Platz.

Schmid hat das grosse Glück, dass sein Kommentar exakt an einem Tag erscheint, an dem effektiv die Sonne scheint und das Leben nach draussen verlegt werden kann. Aber im Grundsatz hält uns – und vor allem auch Schmid – ja nichts davon ab, auch bei miesem Wetter mit einem Regenschirm in eine Gartenbeiz zu sitzen. Und all jene Gastronomen, die über keine Terrasse verfügen, die sind ja irgendwie auch selber schuld. Hätten sie sich halt einmal früher Gedanken machen sollen. Jetzt zu jammern ist doch wirklich ungeheuerlich. Keine Frage.

Nachlesen kann man den Kommentar hier.

Natürlich löste der Artikel von Stefan Schmid auch einige Reaktionen auf dem Tagblatt-Facebook-Profil aus.

Der Mehrheit der dort platzierten Kommentare kritisiert die Aussagen von Schmid. Es sei ein «beschämender» Artikel, heisst es da etwa. Oder: «Ist etwas vom hohen Ross geurteilt», «Den Artikel werde ich nicht lesen, da die Überschrift unter aller Würde ist», «Nerven tun eigentlich nur die Medien, daher sie möglichst meiden» und «Der Kommentar ist ein Faustschlag mitten ins Gesicht von sehr vielen Gastronomen, die unverschuldet viel Geld verloren haben».

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Marcel Baumgartner

Marcel Baumgartner (*1979) ist Co-Chefredaktor von «Die Ostschweiz».

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