Gut fünf Jahre nach der Aufhebung der Euro-Franken-Untergrenze zeigen sich die Auswirkungen deutlich. Angesichts der Negativzinsen auf Guthaben, günstiger Kredite und des Drucks, Renditen zu erwirtschaften, haben sich Wohnungen, Häuser sowie ganze Quartiere in begehrte Sachanlagen verwandelt.
In der Folge sind zahlreiche Immobilien saniert und neu gebaut worden – teils so viele, dass es hohe Leerstände gibt. Diese Entwicklung und die damit zusammenhängenden Problematiken haben auch Konsequenzen auf alle Arbeitsfelder, die Planung, Errichtung und Bewirtschaftung von Immobilien tangieren. Denn ob Investoren, Planer, Architekten, Baufachleute oder Bewirtschafter – alle Beteiligten sind gefordert, den neu entstandenen Herausforderungen bestmöglich zu begegnen.
Der Leerwohnungszählung des Bundesamtes für Statistik zufolge standen per 1. Juni 2019 in der Schweiz 75.383 Wohnungen leer. Das entspreche 1,66 Prozent des Gesamtwohnungsbestands und einem Anstieg von 4,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Vor allem abseits der Zentren sei der Handelszeitung zufolge der Leerstand hoch. „Doch selbst diese Entwicklung stoppt den Bauboom nicht“, so das Portal finanzen.ch. «Gerade in wirtschaftsstarken Regionen wie Zürich und Basel stiegen die Preise signifikant an und die Preise für Luxusimmobilien erhöhten sich noch einmal mehr.» Auch Büroflächen in den Wirtschaftszentren genossen eine hohe Nachfrage, da es viele Neugründer und Kleinunternehmen in die Stadt zog.
Viele Möglichkeiten durch Digitalisierung
Als ein Enabler für Erfolg fungiert sehr oft die Digitalisierung. Sie führt dem Trendbarometer Immobilien-Investmentmarkt 2019 von EY in der Schweiz zufolge zu Effizienzgewinnen und wird zum Standortfaktor und -vorteil: «Eine gute Konnektivität kann Lagenachteile ausgleichen. So teilt eine grosse Mehrheit der Befragten die Meinung, dass Städte, die sich stärker mit dem Digitalisierungstrend beschäftigen – sogenannte smart cities – daraus Standortvorteile ziehen können.» Nach einem anderen Bericht von EY ist es möglich, durch den Einsatz geeigneter Datenmodelle und moderner Algorithmen auf Basis von Vergangenheitswerten konkrete Handlungsfelder zu erarbeiten. Mithilfe von Data Analytics lassen sich neben Effizienzgewinnen Massnahmen zur Instandhaltung, Einspruchsrisiken bei Nebenkostenabrechnungen, Dienstleisterkontrollen oder das Kündigungsverhalten von Mietern vorausschauend und faktenbasiert optimieren.
PropTech-Unternehmen bieten viele solcher digitalen Produkte und Dienstleistungen an. Mehr als 200 PropTechs gebe es nach Angaben der Handelszeitung in der Schweiz. Zu den herausragenden Vertretern zähle die Performance Buildings AG. Sie digitalisiere die Büroinfrastruktur. Die gesamte Ausstattung werde automatisiert übers Internet steuerbar. Das Start-up liefere Daten, mit denen die Kunden ihre Gebäude effizienter betreiben können. Ein anderes Exempel: die Allthings Technology AG. Sie biete eine Plattform für das Gebäudemanagement. Die Software digitalisiere beispielsweise die Hausverwaltung: Mieter und Vermieter treten über eine App in Verbindung. Nicht zuletzt ist Foxstone ein weiteres vielversprechendes PropTech. Das Start-up sei auf die Schwarmfinanzierung von Immobilienprojekten spezialisiert. Investoren können sich über Foxstones Onlineplattform unter anderem mit tiefen Beträgen an Liegenschaften beteiligen.
Wachsende Anforderungsprofile
Trotzdem verläuft die Umsetzung der Digitalisierung in der Immobilienbranche schleppend, so das Trendbarometer Immobilien-Investmentmarkt 2019 von EY. In diesem Bereich überlagern sich die Megatrends: Die Digitalisierung benötige schlaue Köpfe, die in Zeiten des demografischen Wandels heiss umkämpft seien. Real Estate Manager müssen sich nach Einschätzung von EY mit neuen Geschäftsmodellen vertraut machen und proaktiv Chancen nutzen, um dies in das Immobilienmanagement einzubringen. Viele Kunden betrachten mittlerweile ihre Transformationsprozesse gesamthaft und versuchen die Themenbereiche IT, HR sowie RE zu verbinden. Dabei ist auch Innovation gefragt.
Denn es gilt, verschiedenste Konzepte intelligent miteinander zu kombinieren, um den vielfältigen Herausforderungen zu begegnen. So lassen sich Leerstände laut Handelszeitung mit einem attraktiven Objekt und einer professionellen Bewirtschaftung vermeiden. Aber auch Zwischennutzungen wie Coworking oder Pop-up-Stores sind möglich.
Wichtig ist, Gründe zu verstehen, dementsprechend Strategien auszuwählen und professionell umzusetzen. Dabei bilden zudem die Ansprüche der Investoren und Nutzer eine Vorgabe. Diese steigen, wie im Blogbeitrag «Nachhaltig bauen: Werte sind für Architekten von morgen essenziell» dargelegt ist. Zukünftige Generationen haben andere Erwartungen an Technologien, orientieren sich an persönlichen Werten, fordern ethische Korrektheit sowie mehr Verantwortung gegenüber der Umwelt. Da heutige Bauvorhaben vor allem für sie entwickelt werden, müssen ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden. Gleichzeitig sind gesetzliche Vorgaben zu beachten.
Verantwortung für die gesamte Gesellschaft
All dies zeigt: In sämtlichen Real Estate Jobs sind umfassende Kompetenzen erforderlich, die rechtliche Aspekte genauso beinhalten wie organisatorische Kenntnisse und digitales Know-how. Deshalb sowie aufgrund des Baubooms, der von den anhaltenden Negativzinsen weiter getrieben wird, sind gut ausgebildete Fachkräfte in der Immobilienbranche gefragt wie nie, wie der Schweizerische Verband der Immobilienwirtschaft SVIT konstatiert.
Das bedeutet: Einmal mehr ist Fachkompetenz der Schlüssel, um die Zukunft bestmöglich zu gestalten. Dies gilt es zu erkennen und gezielt zu entwickeln. Denn nur, wenn es den Akteuren gelingt, innovativ und erfolgreich genug zu sein, lassen sich weitere negative Folgen vermeiden oder abmildern, wenn die Immobilienpreise sinken. Da oft institutionelle Investoren wie Pensionskassen hinter dem Bauboom stehen, heisst es ansonsten gemäss Handelszeitung: Letztlich trifft es jene, die das Geld geben – bei der Pensionskasse die, die arbeiten, bei der Versicherung die Versicherten oder bei einem Fonds die Anleger.
Renata Kratzer ist Management Consultant bei Nellen & Partner. Sie hat Biochemie studiert und in führenden Unternehmen in der Schweiz 18 Jahre praktische Erfahrung als Researcherin im Executive Search gesammelt. Sie unterstützt Mandanten aus der Bau- und Immobilienbranche bei der Besetzung von Kader- und Spezialistenpositionen.
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