Unter dem Begriff «Long Covid» wird seit einiger Zeit ein neues Gespenst an die Wand gemalt. Auch wenn es mit Sicherheit Leute gibt, die länger unter den Folgen der Viruserkrankung leiden: Es dürften weit weniger sein als bisher behauptet. Das zeigen neue Studien.
Anfang 2021 nahm sie so richtig Fahrt auf, die Berichterstattung über «Long Covid». Sie besagt, dass viele Menschen, selbst wenn sie scheinbar genesen sind von der Erkrankung durch Covid-19, danach noch lange unter den Folgen leiden. Als Beleg dafür mussten auch ziemlich gesuchte Fälle herhalten.
Dass sich eine Viruserkrankung, die vor allem auch die Lungentätigkeit in Mitleidenschaft zieht, in Form von recht hartnäckigen Überbleibseln noch eine Weile bemerkbar machen kann, ist keine Frage. In der Lesart rund um «Long Covid» klang es aber so, als würde ein erheblicher Teil der einmal Erkrankten noch monatelang massiv daran herumlaborieren. Kronzeuge der Anklage war eine Untersuchung der Universität Zürich, wonach ein Viertel der Betroffenen noch ein halbes Jahr später daran herumlaboriert. Untersucht wurden dabei gerade einmal 400 Personen.
Der «Gesundheitstipp», alles andere als das Leib- und Magenblatt von Verschwörungstheoretikern, legt nun ein bisschen andere Zahlen vor. Sie stammen aus den USA, aber es ist nicht anzunehmen, dass das Coronavirus beim Versuch, zu «Long Covid» zu werden, kontinentale Unterscheidungen macht.
Neue Studien zeigen demnach: Gerade mal 14 Prozent der Erkrankten machte das Virus auch vier Monate nach der Genesung noch so zu schaffen, dass sie zum Arzt gehen mussten. Ob in all diesen Fällen allein Corona die Ursache war und wie schwer die bewussten Beschwerden sind, ist noch einmal eine andere Frage. Untersucht wurden für diese Studie jedenfalls satte 190'000 Personen bis 65 Jahre. Stammen tut sie von der Harvard University, die nun auch nicht gerade als Provinzuniversität gelten kann.
Eine weitere Untersuchung mit 4000 Beteiligten ergab laut dem «Gesundheitstipp» zudem, dass vier von fünf Betroffenen nach einem Monat wieder komplett gesund waren.
Doch auch die erwähnten 14 Prozent berechtigten im Grunde kaum, einen Begriff wie «Long Covid» zu kreieren und damit die Panik zu steigern. Denn dieser Anteil an Leuten mit späteren Folgen treffe auch auf die Opfer einer Lungenentzündung, einer Bronchitis oder ganz banal einer Grippe zu. Auch dort ist es jeder siebte bis achte, der nach einigen Monaten immer noch einen Arzt aufsucht. Aber hat je schon mal jemand von «Long Influenza» oder «Long Bronchitis» gehört?
Knackig klingt «Long Covid» jedenfalls, das muss man einräumen. Aber so bedauernswert es ist, wenn Menschen unter langanhaltenden Spätfolgen leiden: Die Instrumentalisierung eines kreierten Begriffs, um über die Risikogruppen hinaus Angst zu schüren und so die Massnahmen leichter zu rechtfertigen, ist ziemlich durchsichtig. Und wird von den Zahlen nicht gestützt. Es sei denn natürlich, man verlässt sich lieber auf die 400 Probanden der Universität Zürich als auf fast 200'000 von Harvard.
Vor allem, weil die Zürcher Studie einige «Besonderheiten» aufwies, wie die NZZ bereits im Februar 2021 aufzeigte. Demnach entstand sie zwischen Ende Februar und Anfang August 2020. Aber bis zum 24. Juni wurden PCR-Tests in erster Linie bei Patienten eingesetzt, die Komplikationen oder Risikofaktoren für einen schweren Verlauf aufwiesen, erst danach wurden sie auch bei leichten Symptomen eingesetzt. Entsprechend fand sich in der Studie laut NZZ auch eine Häufung von mittelschweren bis zu schweren und sehr schweren Fällen. Hat man kaum Leute mit einem problemlosen Verlauf als Studienteilnehmer, so liegt es nahe, dass der Anteil an Leuten mit Spätfolgen grösser ist.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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