Der gebürtige Rheintaler Autor Philippe Heule kehrt temporär in seine Heimat zurück, Und zwar mit dem Stück «Spekulanten. Ein Volkstheater». Mehr über die Inszenierung und ein Interview mit dem Autor.
Als «Versuch einer Kartografie der Gefühlslage im Rheintal» bezeichnet Autor und Regisseur Philippe Heule sein Stück «Spekulanten. Ein Volkstheater.» Am Donnerstag, 6. September 2018, 20 Uhr, erlebt es im Container des Theaters St.Gallen vor der Lokremise seine Uraufführung. Nachher geht der Container auf die Reise in Richtung Rheintal – mit Aufführungen in Rorschach, St.Margrethen, Heerbrugg, Altstätten, Buchs und Chur.
Der 1986 im St.Galler Rheintal geborene Philippe Heule ist in seine Heimat zurückgekehrt mit dem Auftrag des Theaters St.Gallen, ein Stück zu schreiben, das dieser Region entspringt. Er hat genau hingesehen und hingehört und erzählt in zwölf Szenen unter anderem, wie eine junge Frau nach einer Ewigkeit wieder einmal ihre Grossmutter besucht, wie sich eine Männerrunde an der Deutung des Weltgeschehens versucht oder wie ein Paar auf Besuch bei der neuen Chefin einen Albtraum erlebt. Es geht also um den Alltag, um das Spekulieren über das Leben – folgerichtig nennt Philippe Heule sein Stück …ein Volkstheater». Die Arbeit, sagt er, sei eine lange Suchbewegung gewesen, ein grossflächiges Umkreisen von Themen, ein Sammeln von Dialogfetzen, Situationen, konfliktreichen Konstellationen und Tatorten.
Gespielt wird Spekulanten in dem Schiffscontainer, mit dem das Theater St.Gallen seit der Saison 2016/2017 unterwegs ist, um den Dialog mit der Bevölkerung dort zu suchen, wo das Leben täglich stattfindet: in Quartieren, auf Stadtplätzen, in Dörfern. Regie führt der Autor selbst, die Ausstattung besorgt Markus Karner, für die Tour- und Produktionsleitung ist Sarah Fuhrmann verantwortlich. Die insgesamt 24 Rollen werden gespielt von Anna Blumer, Birgit Bücker, Kay Kysela, HansJürg Müller und Marcus Schäfer vom Schauspielensemble des Theaters St.Gallen. Nach der Uraufführung in St.Gallen macht der Container im September und Oktober an fünf Standorten halt, um im Januar 2019 in Chur seine Tournee zu beschliessen.
Philippe Heule studierte nach einem Schauspielstudium in Hamburg Theaterregie an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Als freier Theaterschaffender arbeitet er an zahlreichen Theatern und für Festivals in Deutschland und der Schweiz. Er war Begründer des Performance-Kollektivs helium x, das für seine Produktionen mehrfach ausgezeichnet wurde. In der Spielzeit 2015/2016 war Heule Hausautor am Theater Basel. Für das Theater St.Gallen steuerte er 2016/2017 einen Text zur Produktion Das Schweigen der Schweiz bei. Eben gerade hat er für sein neuestes Stück Die Stunde, als wir nichts voneinander wissen wollten einen Else-Lasker-Schüler-Stückepreis des Pfalztheaters Kaiserslautern erhalten.
Interview
Der Autor und Regisseur Philippe Heule im Gespräch mit Dramaturg Armin Breidenbach:
Philippe, dieses Projekt, in dem du deinen eigenen Text inszenierst, ist ja eine doppelte Heimkehr. Zum einen stammst du selbst aus dem Rheintal, zum anderen hast du auch schon früh Beziehungen nach St. Gallen geknüpft, speziell zum Theater. Welche Beziehungen waren - oder sind - das?
Mit vierzehn Jahren wurde ich durch einen Berufsberater auf den Jugendtheaterclub am Theater St.Gallen aufmerksam gemacht. Die folgenden Jahre lernte ich dort spielerisch die Grundlagen des Theatermachens kennen. Ich hatte ausserdem Schauspiel-Unterricht von Diana Dengler, die ja heute noch fester Bestandteil des Ensembles ist. Später bekam ich durch Hospitanzen Einblick in die Maschinerie des Stadttheaters. Das war eine prägende Zeit. Das Theaterfieber hatte mich gepackt, und ich entschied mich vorerst für eine Schauspielausbildung. Damals war ich neunzehn. Dreizehn Jahre später kehre ich nun als Autor und Regisseur zurück.
Wenn du heute deine Heimat besuchst und dann wieder verlässt, mit welchen Eindrücken kehrst du zurück? Was hat sich verändert, seitdem du nicht mehr im Rheintal lebst?
Als regelmässiger Besucher erlebe ich bauliche Massnahmen im Zeitraffer, und deshalb staune ich jedes Mal, wie viel wieder gebaut wurde. Ansonsten sind für mich die Veränderungen schwer zu greifen. Menschen werden älter, neue werden geboren, Beziehungsgeflechte ändern sich, Ideologien bekommen ein neues Gewand. Gefühlt bleibt für mich das Rheintal aber derselbe Ort. Es ist der Ort meiner Kindheit, meiner Jugend. Es bleibt meine Heimat, auch wenn es nicht mehr mein Zuhause ist. Das ist die grösste Veränderung für mich, dieser Wechsel der Perspektive.
Dein Stück besteht aus zwölf Szenen, die vor allem im privaten Rahmen spielen, es treten insgesamt 25 Charaktere auf. Wie hast du dafür recherchiert?
Formal wusste ich früh, dass ich einen Szenenreigen schaffen möchte, mit losen Zusammenhängen und Verbindungslinien. Die Recherche gestaltete sich sehr intuitiv, um nicht zu sagen chaotisch. Der Auftrag war für mich, ein Stück zu schreiben, das dieser Region entspringt. Obwohl ich mich dieser Landschaft und den Menschen darin sehr verbunden fühle, bleibt sie dennoch ein abstrakter Gegenstand. Wie lässt sich diese zusammenfassen, was lässt sich an ihr ablesen? Für mich ist die Suche nach dem Universellen wichtiger als nach dem Ortsspezifischen. Es war eine lange Suchbewegung, ein grossflächiges Umkreisen von Themen, ein Sammeln von Dialogfetzen, von Situationen, von konfliktreichen Konstellationen, von Tatorten. Sobald ich im Rheintal war, wurde eigentlich alles zur Recherche, fündig wurde ich besonders dann, wenn ich den Auftrag für einen Moment vergessen habe.
Es war ja Teil des Auftrags, einen Text für die Container-Tournee zu schreiben. Welche Rolle hat diese Tournee-Situation, hat der Spielort Container für dich beim Schreiben gespielt?
Eine grosse Rolle. Der Container mit seiner Verglasung und die Vorstellung von Menschen, die da drin eingeschlossen agieren und rausgucken, war für mich auch eine inhaltliche Setzung. Dadurch war für mich klar, dass das Beobachten und Beobachtet- Werden ein wichtiger Vorgang sein muss – das Vermutungen- Anstellen gegen aussen einerseits, und andererseits, dass im Container Figuren zu sehen sein werden, die einer permanenten Bewertungsmaschine unterworfen sind. Formal verführt das Mikrofon-verstärkte Spiel hinter Glas zu Intimität und Realismus, die Open-Air Situation verleitet zur Groteske, zum Spektakel. Diesen Spagat zu schaffen, ist das Reizvolle. Weil die Inszenierung auf Tournee geht und damit nicht nur den gewohnten Theaterraum, sondern auch den Stadtraum verlässt, dachte ich beim Schreiben ausserdem stets darüber nach, inwieweit das Stück Zuschauer abholen soll, die selten bis nie ins Theater gehen.
Und warum heisst es «Ein Volkstheater»?
Es ist eine Anlehnung an die Tradition von Volkstheaterstücken – dieses Stück ist mein Versuch von einem solchen. Ich habe ja versucht, einer Landschaft und ihrer Bevölkerung diesen Text abzuhören, ihre Gefühlslagen zu erfassen. Ich verbinde damit eine humorvolle Annäherung, die auch schmerzhaft sein soll, da sich der Humor aus der Verzweiflung und dem Gewaltpotential der Situationen speist. Interessant finde ich, dass «Ein Volkstheater» auch den Zirkus rund um den Begriff des Volkes meinen kann, ein schwieriger Begriff, da sich nichts über einen Kamm scheren lässt. Am Ende lassen sich eben nur Vermutungen, eben Spekulationen über eine Landschaft anstellen.
Kommen wir zu dir als Regisseur. Ist es eigentlich einfacher oder schwieriger, einen eigenen Text auf die Bühne zu bringen, als den eines anderen Autors?
Beides. Die Regieposition braucht einen Abstand zum Material, um radikal darauf zugreifen zu können. Eine solche Distanz ist bei einem fremden Text vorausgesetzt, dieser kann sich aber auch komplett verschliessen und einem Zugriff entziehen. Bei einem eigenen Text ist der Zugang zum Thema, zu seinem Kern grundsätzlich gegeben. Ich weiss über die Entstehung und die inneren Motivationen Bescheid. Es ist allerdings für die Umsetzung wichtig, während des Inszenierens den Autor weitestgehend abzulegen und pragmatisch und ohne Samthandschuhe auf den Text, diesen Bauplan, zu schauen. Auch bei einem eigenen Text entdecke ich beim Inszenieren Schichten, die mir beim Schreiben gar nicht so bewusst waren. Die Interpretationen von der Ausstattung, der Dramaturgie und nicht zuletzt von den Spielerinnen und Spielern sind essentiell wichtig, um einen frischen Blick zu gewinnen. Theater ist schliesslich Teamwork.
Armin Breidenbach ist Dramaturg am Theater St.Gallen. Er studierte Germanistik, Philosophie und Soziologie an Darmstadt und hospitierte bereits in dieser Zeit in Regier und Dramaturgie in Deutschland und der Schweiz.
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