Alle Plätze in den Intensivstationen sind belegt. Katastrophe. Was, haben Sie nicht mitbekommen? Ja vertrauen Sie nicht auf die Prognosen der Wissenschaft?
Prof. Dr. Martin Ackermann ist höchster Wissenschaftler der Eidgenossenschaft, Leiter der Wissenschafts-Eingreiftruppe, Berater des Bundesrats, Chef einer vielköpfigen Expertengruppe, die Besten der Besten sind hier versammelt.
Nun vielleicht nicht alle. So fällt das Mitglied Christian Althaus regelmässig mit scharfer Kritik an den Regierenden auf. Nach mehr als 2000 Tweets, die er dieses Jahr schon rausgehauen hat, sah sich selbst der geduldige Alain Berset dazu gezwungen, mal klarzustellen, dass der Rat der Wissenschaftler wichtig sei, aber regieren tun immer noch der Bundesrat und die Kantonsregierungen.
Aber auch Ackermann ist ein Champion im Prognostizieren. Im Erschrecken der Bevölkerung. So verkündete er am 23. Oktober dieses Jahres, dass die Intensivstationen der Schweiz Ende Oktober voll belegt seien. Sein könnten, sagte er natürlich vorsichtig.
Alarm. Katastrophe. Doch die Leichenberge vor den Spitälern, doch bis zu 100'000 Tote, alle schlimmen Sachen werden doch noch bittere Realität. Triage vor dem Spitaleingang, überforderte Ärzte müssen entscheiden, wer noch hineindarf, wer sterben muss. Bis dann Polizei oder Militär die Eingänge schützen; alles voll.
So sieht das seit Ende Oktober vor allen Schweizer Spitälern aus. Oder nicht? Also ich bin extra beim Unispital Zürich vorbeigefahren. Mir schien doch, dass ganz normaler Patientenverkehr herrscht. Gehen rein, kommen raus, sieht alles normal aus. Auch bei den anderen Stadtspitälern kein anderes Bild.
Ich nehme mal an, dass das in St. Gallen, in der Ostschweiz auch nicht anders ist. Nun sind wir leicht irritiert; wie ist es denn möglich, dass die begabtesten, qualifiziertesten Wissenschaftler der Schweiz eine Fehlprognose nach der anderen krachen lassen?
Irritiert das wenigstens die Wissenschaftler selbst? Ach was, nicht die Spur. «Die Prognosen vom 23. basierten auf der Annahme, Verdoppelungszeit», Blabla, und das tollste Argument: Die Task Force habe mit ihren Warnungen dazu beigetragen, dass sich die Lage entspannt habe.
Und überhaupt, neu werde es ab 13. November echt knapp. Könnte knapp werden. Wenn nicht, unter Berücksichtigung, Blabla. Richtig helfen, so die ewige Leier, könne nur ein neuer Lockdown, aber subito. Sonst: Weltuntergang, furchtbar, wir haben’s gesagt, keiner will hören.
Man kennt das Beispiel des Schwimmers, der mehrfach um Hilfe ruft, er ertrinke, und wenn beherzte Helfer ins Wasser springen und zu ihm crawlen, sagt er «April, April». Bis er dann ernsthaft in Not gerät, um Hilfe ruft, und keiner kommt.
Das ist bitter für diesen Schwimmer, denn er dürfte schlichtweg abgesoffen sein. Aber was ist von einer geballten wissenschaftlichen Kompetenz zu halten, die unbelehrbar, wiederholt eine banale exponentiell ansteigende Kurve aus den aktuellen Zahlen aufs Papier malt, und dann schaut, wo diese Kurve die maximale Anzahl Intensivstationbetten durchbricht.
Dass es sich hier um eine multifaktorielle, von vielen Faktoren beeinflusste Entwicklung handelt, die sehr dynamisch und veränderlich ist, was man vielleicht mit Näherungen, Matrixen und komplizierten Analysetools mit aller Vorsicht einschätzen kann, das hat sich bis zur geballten professoralen Arroganz noch nicht durchgesprochen.
Genauso wenig, dass die Task Force damit warnen will, aber das Gegenteil davon erreicht: Die Bevölkerung glaubt immer weniger an diese Unkenrufe. Wenn es dann vielleicht wirklich mal ernst werden sollte, dann wird es dieser Task Force wie dem Schwimmer gehen. Sie wird «Alarm, Alarm» rufen, und keiner hört hin.
«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.