Die Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene am Kantonsspital St.Gallen führt auf ihrer Webseite eine Artikelsammlung. Diese war früher eher ein Geheimtipp. Doch Corona hat das verändert: infekt.ch ist nun eine gesuchte Informationsquelle in der ganzen Schweiz.
«Interaktionen mit Tuberkulose-Therapie»: Das war im Februar 2001 der erste Eintrag in der Artikelliste auf infekt.ch, der Webseite der Klinik für Infektiologie/Spitalhygiene des bekannten St.Galler Professors Pietro Vernazza. Damit gehört die Textsammlung wohl zu einem der frühesten Blogs hierzulande überhaupt. Und dieser hat sich seit bald 20 Jahren gehalten, es dürften inzwischen über 2000 Beiträge sein, durchklickbar auf 227 Seiten.
Doch man darf davon ausgehen, dass es in der meisten Zeit wohl eher Kollegen aus dem Fachgebiet waren, die Vernazzas Texte lasen. Fachartikel aus der Infektiologie: Das ist keine Lektüre für die Massen, auch wenn die Beiträge durchwegs gut verständlich geschrieben sind. Doch inzwischen ist der Blog für eine breite Schicht der Bevölkerung von Interesse, und immer öfter werden die Artikel auch in den sozialen Medien geteilt - «dank» Corona.
Denn dieses Thema drängte sich für infekt.ch natürlich förmlich auf. Seit dem ersten Beitrag zu Corona mit dem Titel: «2019-Coronavirus: Unser Wissensstand» sind rund 30 Texte zum Thema erschienen. Was sie zu begehrtem Lesestoff macht: Viele von ihnen unterscheiden sich von der offiziellen Kommunikation der Behörden und ihren Experten.
So wird beispielsweise der Sinn der wachsenden Zahl von Tests hinterfragt, während es sonst allenthalben heisst, man müsse nun in erster Linie testen, was das Zeug hält. Auch den Begriff der «zweiten Welle» nimmt der St.Galler Professor gekonnt und sachlich auseinander.
Oder dann schreibt Vernazza über das von Medien zum «Wunder» stilisierte Altersheim in Elgg, wo 25 Personen erkrankten, aber keine einzige schwer. Er hat für das, was kaum jemand glauben konnte, durchaus stichhaltige mögliche Erklärungen. Diese könnten ein Ansatz für weitere Erkenntnisse sein. Mehrere Forschergruppen hätten die Feststellung gemacht, «dass sich das Virus in den letzten Monaten verändert hat, dass es weniger aggressiv verläuft und eher häufiger übertragen wird.» Das sei «eigentlich eine wichtige Erkenntnis, die auch das 'Wunder von Elgg' erklären könnte, so Vernazza.
Aber, schreibt er weiter, aus Angst vor Schelte von Kollegenseite halte er sich mittlerweile zurück, «über diese doch interessanten Aspekte zu berichten.»
Denn er habe schon früher festgestellt, dass sich hinter Berichten wie dem über das «Wunder» eine Skepsis verberge, «wonach einige wichtige Erkenntnisse der letzten Monate zu Covid-19 einfach zu optimistisch sind, als dass man darüber bereichten dürfte.» Es sei, «als ob es gar nicht sein kann, dass sich die Virusinfektion zum Guten wenden könnte.»
Seinen Bemerkungen ist zu entnehmen, dass er für solche Feststellungen immer wieder Kritik erntet. Was nichts daran ändert, dass der Blog auf infekt.ch für eine steigende Zahl von Menschen zur nüchternen und gleichzeitig offenbar für viele provozierenden Informationsquelle wird.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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