Luxus fasziniert uns. Nur so ist es zu erklären, dass wir bereit sind, für gewisse Produkte Unsummen zu bezahlen. Was aber ist letztlich wirklich Luxus? Wir fragten bei Benjamin Berghaus nach. Er erforscht Luxus an der Uni SG.
Benjamin Berghaus, Sie erforschen Luxus und das Konsumentenverhalten in Bezug auf Luxuskonsumgüter. Was fasziniert Sie daran besonders?
Luxus ist reizvoll, da er voller Facetten und auch widersprüchlich ist. Luxus lässt sich nicht erschöpfend begreifen, ohne sich wenigstens etwas mit Geschichte, Gesellschaft, Politik, Ethik, Psychologie, Wirtschaftswissenschaften und vielen weiteren Perspektiven auseinanderzusetzen. Gleichzeitig – und das mag der zentrale Widerspruch sein – kann Luxus sowohl sehr plakativ und plump daherkommen als auch enorm feinsinnig und ausdifferenziert auftreten.
Wie meinen Sie das?
Jeder kann etwas mit dem Begriff anfangen, jeder hat seine Vorstellung von Luxus. Und doch gleichen sich die Vorstellungen zweier Personen von Luxus so gut wie nie. Luxus ist damit zugleich ein Massenphänomen – aber im Kern absolut individuell. Sie merken: Es fällt mir schwer, von diesem immer auch etwas sündigen Thema nicht fasziniert zu sein.
Luxus muss folglich nicht zwingend mit viel Geld verbunden sein. Und doch definieren wir ihn oftmals mit Reichtum. Ein Trugschluss?
Der wirtschaftlich relevante Luxus hängt tatsächlich stets mit unüblichem Reichtum zusammen. Alles, was für die meisten finanziell erschwinglich ist, ist kein Luxus – das, was für viele ausser Reichweite ist, wird zum Luxus. Allerdings gibt es auch eine nicht-kommerzielle Form des Luxus: Zeit, Freiheit, Gesundheit und Glück zum Beispiel. Hier verhält es sich ganz ähnlich. Zeit wird erst dann zum Luxus, wenn sie durch einen vollen Terminkalender droht, abhanden zu kommen. Luxus ist das schwierig Erreichbare.
Was ist für Sie persönlich Luxus?
Luxus ist für mich keine Konstante: an einem optimistischen Tag ist Luxus für mich einfach, auf der Welt zu sein und meine Dinge zu tun. An einem anstrengenden Tag kann Luxus Genuss sein. Nach viel getaner Arbeit kann Luxus Belohnung mit einem Konsumgut sein. Aber in aller Regel ist mir persönlich der grösste Luxus, das zu begreifen und wertzuschätzen, was mir täglich glücklicherweise geschenkt wird und die paar Siebensachen, die ich ohnehin besitze. Das ist übrigens kein Ausdruck überzogener Demut, sondern für mich vielmehr eine einfache Strategie, um in unserer Konsumgesellschaft voller Bedürfnisreize das eigene Glück gut zu verteidigen und sich etwas vom schneller-höher-weiter zu entkoppeln.
Was ist es denn, das Luxus bei uns auslöst? Welchen Teil in uns befriedigen wir, wenn wir uns etwas Luxuriöses anschaffen oder gönnen?
Die aus meiner Sicht schlüssigsten Studien zu dem Thema (von Vigneron und Johnson um das Jahr 2000) sprechen sowohl soziale als auch individuelle Motive an. Dementsprechend spielt zunächst die Kommunikation durch Luxusgüter und -marken eine grosse Rolle, die Assoziation mit attraktiven Gruppen und die Distanzierung von der Allgemeinheit. Es geht also zunächst um die Signalisierung von Vermögen, Geschmack, Leistungsfähigkeit und -bereitschaft sowie der daraus entstehenden sozialen Anbindung. Weiterhin ist Luxus jedoch nicht ausschliesslich Kommunikation. Er ist auf der individuellen Ebene auch emotionaler und kognitiver Genuss, der sich einerseits im emotionalen Glücksgefühl während des Luxuserlebnis und andererseits in der persönlichen Begeisterung für die konzeptionelle Tiefe oder die Fertigungsqualität des betreffenden Luxusguts ergibt.
Corona hat gewisse Werte verschoben. Kam dadurch eine neue Form von Luxus zum Vorschein?
Durch Corona ist die Themenlandschaft der Welt innerhalb kurzer Zeit zusammengeschrumpft: das Virus ist allen Menschen auf der Welt binnen kürzester Zeit eine brisante, vorstellbare und doch ungreifbare, ungefähre Bedrohung geworden. Nicht nur, dass der Luxus dadurch ganz operativ nicht mehr ohne weiteres verkauft werden konnte – die meisten Geschäfte wurden vorübergehend geschlossen –, er hatte auch im Moment der grössten Unsicherheit seine Begehrlichkeit verloren. Luxus war nicht nur überflüssig, weil er selbst gerne damit kokettierte. Luxus wurde von der unsicheren Realität geradezu ausgelöscht. Auch wenn im Nachgang Luxusmarken durchaus einen Nachholbedarf im Luxuskonsum feststellen, hat die Krise ein mahnendes Fragezeichen hinter den kommerziellen Luxus gesetzt – denn für einen Moment ging alle Aufmerksamkeit in Richtung des nicht-kommerziellen Luxus der Gesundheit und Angstfreiheit. Vielleicht weist auch das darauf hin, dass sich nicht-kommerzieller und kommerzieller Luxus womöglich aus demselben Nachfragepotenzial speisen: wer schon als grosses Glück empfindet, gesund und angstfrei zu sein, dem kommt die teure Uhr dann tatsächlich sekundär vor. So freuen wir uns alle – und auch der Luxusmarkt – auf weniger beschwerte Zeiten.
Luxus vor Corona
Lesen hier das ausführliche Interview mit Benjamin Berghaus, welches im November 2019 entstanden ist. Ein Gespräch über Markenbildung und die Entwicklung von Luxusgütern, das durch Corona einem Blick in eine längst vergangene Zeit gleichkommt.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Co-Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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