Wenn Schafe sprechen könnten: Eine satirische Betrachtung zu einem aktuellen Fall im Thurgau.
Das Bezirksgericht Kreuzlingen hat einem Schafzüchter Recht gegeben, der sich dagegen gewehrt hat, dass er heimlich gefilmt wurde. Bekannt wurde er als «Schafwerfer». Anlass genug, denen zuzuhören, die es direkt betrifft: Den Schafen.
Treffen sich zwei Schafe im Schlachthof.
«Oh, ich könnte mich in dich verlieben, so ein gepflegtes Fell und ein süsses feuchtes Schnäuzchen!»
«Och, mit dir muss man ja Mitleid haben. Du humpelst und dein Fell ist matt und hat Löcher. Woher kommt ...»
«Merde!»
«Aua!»
Kurz darauf im Tierhimmel:
«Ich komme aus bella Sicilia. Ich war das glücklichste Schaf der Welt. Mein Herr hat mich geliebt wie seine Kinder, hat uns stundenlang gestreichelt, und wenn es sehr heiss war, hat er uns Eiswürfel ins Wasser gegeben.»
«Ich komme aus der Schweiz. Mein Herr hat mich geschlagen, war immer mit uns unzufrieden und hat mich an den Hinterbeinen auf den Lastwagen geworfen und mir dabei das Fell zerrissen. Aber ich bin berühmt, weil ich dabei gefilmt wurde, da hätte sich was ändern können, wenn …»
«Warum weinst du?»
«Weil die Richter das Video nicht als Beweismittel anerkannt haben und den Filmer sogar bestraft haben.»
«Wie bitte? In der schönen Schweiz? - Ich bin auch berühmt! EU-Tierfilmer haben mit versteckten Kameras meine letzten vier Tage gefilmt: schrecklicher Transport in engen Lastwagen. Und unsere Richter haben ihnen Recht gegeben! Meine Kinder werden weniger leiden müssen. - Wo war das bei dir?»
«In Kreuzlingen.»
«Oh, nomen est omen: Das waren wohl Christen, die nur das Alte Testament gelesen haben. Da kann unter dem Kreuz nichts gelingen.»
«Und wo liegt dieser unchristliche Ort?»
«Im Thurgau.»
«Oh nein! Mein bella Sicilia tönt nach Musica! Dein Thurgau tönt nach Tortur und Gauland.»
«Gibt es bei euch eine Göttin für Tiere?»
«Claro: schon seit den Römern, es ist Animalia. Komm, lass uns zu ihr beten!»
«Liebe Göttin Animalia! Bitte lass mich möglichst in Sizilien oder wenigstens in der EU auferstehen!»
«Cara mia Animalia! Bitte wiederhole mein tolles Leben in meiner Heimat und bitte, bitte nicht in diesem Tortur-Gau!»
Wolf Buchinger (*1943) studierte an der Universität Saarbrücken Germanistik und Geografie. Er arbeitete 25 Jahre als Sekundarlehrer in St. Gallen und im Pestalozzidorf Trogen. Seit 1994 ist er als Coach und Kommunikationstrainer im Management tätig. Sein literarisches Werk umfasst Kurzgeschichten, Gedichte, Romane, Fachbücher und Theaterstücke. Er wohnt in Erlen (TG).
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