Sollen die Kantone die Corona-Todesfälle aktiv melden, wie sie es derzeit tun? Sollen Medien diese Meldungen publizieren? Darüber ist eine Art Glaubenskrieg in den sozialen Medien entbrannt. Diskutieren kann man es. In der aktuellen Situation kann es aber am Ende nur eine Antwort geben.
«Befinden sich die Kantone eigentlich in einem Wettbewerb um die meisten Todesfälle?» - «Spricht die Regierung ihr Bedauern künftig auch aus bei Opfern eines Verkehrsunfalls?» - «Gehört so ein Bericht wirklich in die Zeitung?»
Solche Fragen werden derzeit in den sozialen Medien, aber auch direkt an die Redaktionen gestellt. Viele Leserinnen und Leser regen sich darüber auf, dass die durch das Coronavirus verursachten Todesfälle aus den Ostschweizer Kantonen als Meldung publiziert werden. Zum Teil fürchten sie, dass das die Panik steigert. Andere finden es pietätlos gegenüber den Angehörigen. Und eine weitere Gruppe wittert einen Wettkampf um möglichst viele Klicks.
Zunächst: Die Todesfallmeldungen stammen direkt aus den Staatskanzleien der Kantone. Sie verbreiten diese an die Medien. Denen wiederum ist es natürlich überlassen, was sie damit machen - publizieren oder ignorieren. Einen Unterschied macht es allerdings nicht. Selbst wenn sich eine Redaktion entscheiden sollte, den Todesfall nicht zu veröffentlichen, macht die Meldung die Runde via andere Medien und danach über Facebook und Co. Und das Bundesamt für Gesundheit und andere Stellen veröffentlichen laufend umfangreiche Statistiken über Erkrankungen und Todesfälle. Diese Informationen sind schon längst da.
Aber wichtiger: In dieser Phase der Coronakrise macht es durchaus Sinn, zu sagen, wo wir stehen - bezüglich Anzahl der Erkrankungen, aber auch betreffend den Fällen, die tödlich verlaufen. Bisher sind es aus den Kantonen, die wir bei «Die Ostschweiz» abbilden, einige wenige, aber hinter jedem steht eine Geschichte, ein Schicksal. Die Meldungen über Verstorbene machen vieles deutlich, das derzeit wichtig ist. Zum Beispiel: Das Virus kann tödlich verlaufen, die deklarierte Gruppe aus Älteren und Vorerkrankten ist in der Tat am meisten gefährdet, und die getroffenen Massnahmen sind wichtig.
Es mag tragisch sein, dass es solche Meldungen braucht, um das vor Augen zu führen. Aber stellen wir uns vor, ein Kanton würde nicht aktiv darüber kommunizieren, dass es in seinen Grenzen zum ersten Todesfall gekommen ist. Sehr schnell wären Verschwörungstheoretiker zur Stelle, die behaupten, die reale Gefahr würde bewusst verschleiert. Man kann in diesen Tagen nichts richtig machen, stets hält irgendjemand das Vorgehen für falsch.
Und die Medien? Wir publizieren behördliche Mitteilungen von Tragweite für die Öffentlichkeit immer. Dazu gehören aus unserer Sicht zumindest in dieser Phase, in der gegen die weitere Ausbreitung gekämpft wird, auch Todesfälle. Selbstverständlich sind Opfer von anderen Krankheiten oder Unfällen nicht weniger «wichtig» als Corona-Opfer. Aber wir stecken mitten in einem Notstand, den für einmal nicht Einzelne aufhalten können, sondern nur die Gemeinschaft. Und Information ist dabei eines der wichtigsten Werkzeuge.
Nein, es gibt keinen Wettbewerb unter den Kantonen. Aber es gibt die Pflicht zur Transparenz. Diese nehmen die Kantone derzeit vorbildlich wahr. Und wir als Medien erfüllen unsere Aufgabe, indem wir sagen, was derzeit geschieht. Nichts mehr. Nichts weniger.
PS: Was die angebliche Jagd auf Klicks angeht, ist das in den meisten Fällen ein unhaltbarer Vorwurf. Zumindest bei kostenlosen Zeitungen wie «Die Ostschweiz». In der Tat beschert auch uns die Coronakrise Rekordzugriffszahlen. Gleichzeitig gibt es derzeit kaum Unternehmen, die aktiv Werbung schalten, weil sie schlicht im Moment nichts verkaufen können. Das Betreiben einer Zeitung ist in dieser Zeit also ein ziemlich defizitäres Geschäft. Darüber beklagen wir uns allerdings keine Sekunde. Denn andere werden viel härter getroffen.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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